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© Warner Bros. Pictures

Nicht einmal das Wort Nazi fällt: Christopher Nolan erzählt in seinem neuen Film von der »Operation Dynamo«, bei der 1940 über 300.000 britische und französische Soldaten aus deutscher Einkesselung gerettet werden konnten. Mit eindrucksvoller Bildsprache gelingt ihm ein Kriegsfilm der Sonderklasse

Bewertung: 5
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 2)

In den ersten Minuten von »Dunkirk« verfolgt die Kamera ein kleines Grüppchen junger Soldaten, das durch eine trügerisch stille Kleinstadt streift. Vom Himmel regnet es Flugblätter, abgeworfen von den Nazis, die das britische Expeditionskorps und Teile der französischen Armee in Dünkirchen eingekesselt haben und nun zur Kapitulation auffordern. Die jungen Männer auf dem Boden haben allerdings andere Sorgen: sie saugen die letzten Tropfen Wasser aus herumliegenden Gartenschläuchen, schnappen sich Zigarettenstummel von den Fensterbänken verlassender Häuser oder suchen eine ruhige Ecke für die nächste Notdurft. Doch es dauert nicht lange und schon fallen die nächsten Schüsse.

Wie zufällig heftet sich die Kamera dann an die Fersen eines dieser britischen Soldaten, eines blassen Bübchens namens Tommy (Fionn Whitehead). Wenn er wenig später den Strand an der Atlantikküste erreicht, steht fest, dass »Dunkirk« nicht bloß ein weiterer Film über den Zweiten Weltkrieg ist, sondern ein Nolan-Epos, in dem jeder Schnitt mit größtmöglichem Bedacht gewählt ist und jedes Bild das Zeug zum Überwältigen hat. Wie zum Beispiel die Kamerafahrt entlang der Küste, über lange, kaum zu übersehende Schlangen von Soldaten, die darauf hoffen, einen Platz zu ergattern auf einem der wenigen Schiffe, die sie noch sicher in die Heimat zurückbringen könnten.

Über 107 Minuten erzählt Nolan nicht bloß die Geschichte von Tommy, sondern zeichnet ein komplexes Gesamtbild der »Operation Dynamo«, wie der Codename der Evakuierung der britischen Truppen über den Ärmelkanal damals lautete. Drei Handlungsstränge verwebt er ineinander, die zwar im Film gleich viel Raum einnehmen, sich aber über unterschiedlich lange Zeiträume erstrecken. Nolan kreiert damit seine komplexeste Erzählstruktur seit »Memento«.

Er widmet sich Tommy und anderen Soldaten am Strand und auf der Mole, für die es viel zu wenig Platz auf viel zu wenigen Booten gibt, zumal immer wieder Bombenangriffe der Deutschen, aber auch ungünstige Wetterbedingungen die von Commander Bolton (Kenneth Branagh) geleitete Evakuierung zusätzlich behindern. Von England aus legen unterdessen Fischkutter und andere private Boote ab, um ihren Teil dazu beizutragen, so viele Soldaten wie möglich aus dem nur wenige Dutzend Kilometer entfernten Dünkirchen nach Hause zu holen. Unter ihnen auch Mr. Dawson (Mark Rylance), sein Sohn und dessen Schulfreund, die schon auf dem Hinweg einen Traumatisierten (Cillian Murphy) aus dem Wasser fischen. Aus der Luft versuchen unterdessen einige Piloten der Royal Air Force (darunter Tom Hardy) ihr Möglichstes, die deutschen Flieger aus dem Verkehr zu ziehen.

Nicht nur das Aufbrechen einer konventionell-linearen Erzählung durch die raffinierte Verklammerung dieser drei Stränge macht aus »Dunkirk«, zu dem Nolan auch selbst das Drehbuch schrieb, einen höchst ungewöhnlichen Kriegsfilm. Er verzichtet  auf vieles, was in diesem Genre sonst üblich ist. So gibt es keine Generäle, die über große Landkarten gebeugt über die richtige Strategie grübeln. Blut ist erstaunlicherweise auch kaum je zu sehen (obwohl es natürlich jede Menge Verluste zu vermelden gibt), und Churchill wird zwar immer mal erwähnt, ist aber nie zu sehen. Nicht einmal das Wort Nazi fällt!

Nur ganz am Ende gönnt sich Nolan angesichts des hinlänglich bekannten, aber doch immer noch unglaublichen Ausgangs dieser bemerkenswerten Evakuierung (über 330 000 Soldaten konnten gerettet werden) doch eine kleine Portion Pathos wie sie in vergleichbaren Filmen üblich ist. Bis dahin aber ist »Dunkirk« ein unter die Haut gehendes Meisterwerk, in dem der Sound und die aufregend ungewohnte Filmmusik von Hans Zimmer wichtiger sind als die wenigen Dialoge und die Bilder von Kameramann Hoyte Van Hoytema einem immer wieder den Atem rauben. Wegen ihnen lohnt sich auch das IMAX-Format.

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