Kritik zu Mein Liebhaber, der Esel & Ich

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Eine Frau steigt ihrem Liebhaber in den Cevennen hinterher und beichtet bei ihrem Packesel: eine französische Wanderkomödie mit tiefen Einsichten und schönen Aussichten. In Frankreich ist die Komödie einer der Überraschungshits der Corona-Zeit

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5 (Stimmen: 2)

Durch den Naturpark Cevennen verläuft der Wanderweg GR 70, auch »Chemin de Stevenson« genannt. Von Liebeskummer geplagt, ist der Schriftsteller Robert Louis Stevenson im Jahre 1878 dort gewandert und hat dann den Bericht »Reise mit einem Esel in den Cevennen« verfasst. Und er hat seine große Liebe schließlich dazu gebracht, ihren Mann zu verlassen. Mit dieser Information wollen die Wirtsleute einer Wanderherberge die liebeskranke Antoinette, die einem verheirateten Mann hinterhersteigt, trösten.

Doch wo genau liegt die urige »gîte«, in der Antoinette, im Schatten Stevensons, in ihr Weinglas schluchzt? Diese Komödie gehört zu jener Sorte französischer Filme, in der man bis zum Ende des Abspanns sitzen bleibt, um die Angaben der Drehorte zu erhaschen. In ihrem ersten Film nach ihrem viel gelobten Debüt »Les autres filles« (2000) gelingt Regisseurin Caroline Vignal die nahezu perfekte Taktung des Zu-sich-selbst-Wanderns mit der Entdeckung der Umgebung, der Höhen und Tiefen von Gefühls- und Gebirgslandschaften. Ihre Komödie, in Frankreich mit bisher 500 000 Zuschauern in Corona-Zeiten ein Überraschungshit, könnte den Tourismus in jener wildschönen Region im Massiv Central ähnlich beeinflussen wie »Saint Jacques – Pilgern auf Französisch« das Wandern auf dem Jakobsweg.

Trotz Ähnlichkeiten ist Antoinettes Selbstfindungsparcours auf andere Art anregend – schon weil Hauptdarstellerin Laure Calamy es schafft, die Heldin auf dem schmalen Grat zwischen Lächerlichkeit und Tragik nie abstürzen zu lassen. Vignal, eine Drehbuchautorin, schreibt Calamy, bisher eine geschätzte Nebendarstellerin, burleske und zugleich melancholische Szenen auf den Leib, in denen auch etwas über die Sollbruchstellen des Frauseins gesagt wird.

Zu Beginn macht Lehrerin Antoinette Lapouge (ein Hinweis auf Schriftsteller Gilles Lapouge, der das Vorwort für Stevensons Buch verfasste) im ausgeschnittenen Kleid und strahlender Vorfreude ihre Schüler zu ihren Botschaftern, indem sie die Kleinen in der Abschiedsfeier vor den Sommerferien ein sinnliches Lied über eine Ehebrecherin singen lässt. Zu den unbehaglich lächelnden Eltern gehört auch Vladimir, Vater einer Schülerin und Antoinettes heimlicher Liebhaber. Als dieser aber, statt wie geplant mit ihr wegzufahren, mit Frau und Tochter eine Wandertour in die Cevennen macht, reist sie ihm Hals über Kopf hinterher. Großartig jene Szene, in der sie sich in der Herberge von neugierigen Wanderern ausfragen lässt und die, wie ein griechischer Chor, Antoinettes Spontaneität kommentieren: romantisch, mutig oder verwerflich? Als ihr bester Zuhörer entpuppt sich jedoch ein Esel. Patrick soll ihr Gepäck tragen, ist aber sprichwörtlich stur. In Gang setzt sich das Tier nur, wenn sie von sich erzählt. Und während sie beständig redend mit ihm vor blauen Bergen am Horizont über die Hochebene zieht, wird der Vierbeiner zum Freund. Mit seinen interessiert zuckenden Ohren ist Patrick das tierische Pendant zu einem meist schweigenden Psychoanalytiker. Patricks Reaktion auf Vladimir, der Antoinette schließlich über den Weg läuft, ist eindeutig. Und mit der Ehefrau ist auch zu rechnen.  

Wenn sich Antoinette zur Deppin macht, erinnert Calamy an die clowneske Anke Engelke. Doch Regisseurin Vignal setzt meist auf leise Töne und teilnehmende Beobachtung. So vermittelt sie das Gefühl, als allein reisende Frau ständig unter Beobachtung zu stehen, durch einen feinen Running Gag: Von einer Herberge zur nächsten eilt Antoinette ihr Ruf voraus.

Der Weg ist auch hier das Ziel, doch die Binsenweisheit wird mit surrealen Momenten aufgefrischt, die das Geschehen mal in die Nähe eines Western – mit weiblichen Cowboys im John-Wayne-Modus – oder eines Märchens rücken. Die Leichtfüßigkeit, mit der Tonlagen gewechselt werden, und die Sympathie, mit der die törichte Heldin, die nur auf ihr Herz hört, porträtiert wird, machen diese kleine Komödie zu einem großen Vergnügen.

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