Cannes: Eine Art von Happy End

»The Seed of the Sacred Fig« (2024). © Festival de Cannes

Eine der überraschendsten Wendungen des 77. Filmfestivals von Cannes ereignete sich außerhalb der Leinwand. Zu Beginn hatte die Nachricht, dass der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof in seinem Heimatland zu einer mehrjährigen Haftstrafe und Peitschenhieben verurteilt worden war, den Wettbewerb um die Goldene Palme überschattet. Es war davon auszugehen, dass Rasoulofs neuer Film »The Seed of the Sacred Fig« in Abwesenheit seines Schöpfers Premiere feiern müsse.

Dann wurde in der vergangenen Woche bekannt, dass Rasoulof kurz vor der drohenden Verhaftung die Flucht aus dem Iran gelungen war. Nun kam der Regisseur zur Präsentation seines Films doch noch in Persona. So betroffen die Tatsache seiner Verurteilung auch macht, erscheint seine Anwesenheit an der Croisette als eine Art Happy End.

Der 51-jährige Rasoulof gewann mit seinem Film »There is No Evil« 2020, auf der letzten Vor-Corona-Berlinale, den Goldenen Bären, aber eigentlich ist er eine Cannes-Entdeckung, wo zuvor drei seiner Filme in der Sektion »Un certain regard« mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden waren. Mit »The Seed of the Sacred Fig« geht er zum ersten Mal ins Rennen um die Goldene Palme. In einem an echten Höhepunkten armen Wettbewerb besitzt er durchaus gute Chancen auf eine Auszeichnung.

Denn die vorläufige Bilanz dieses Wettbewerbs fällt wenig erfreulich aus, erst recht im Vergleich zur Vorjahresausgabe, wo hier in Cannes mit »Anatomie eines Falls«, »The Zone of Interest«, »Killers of the Flower Moon« und »Poor Things« gleich vier der Filme liefen, die dann die Konversation bis hin zu den Oscars bestimmten.

Das Rezept des Festivaldirektors Thierry Frémaux, durch Einladung der immer gleichen großen Namen für Qualitätssicherung zu sorgen, ging in diesem Jahr nicht auf. Im Gegenteil sorgten die großen Meister auch für die größten Enttäuschungen. Paul Schrader (»Oh, Canada«) und David Cronenberg (»The Shrouds«) präsentierten Filme mit ausgesprochen privatem und selbstbezüglichem Fokus, die allenfalls bei ihren jeweiligen Fans Begeisterung auslösten. Francis Ford Coppola wurde für seinen wirren und überbordenden Film »Megalopolis« von der Kritik zwar wenig gnädig behandelt, aber doch für seinen Mut zum Risiko gelobt.

Der Hang zu Selbstzitat und Selbstbezüglichkeit hinderte auch die neuen Filme von Yorgos Lanthimos (»Kinds of Kindness«), Paolo Sorrentino (»Parthenope«) und Christophe Honoré (»Marcello mio«) daran, ein neues, größeres Publikum zu gewinnen.

Immerhin kam auch einer wenigen gefeierten Höhepunkte von einem Altmeister: Der 72-jährige Franzose Jacques Audiard lieferte mit dem spanischsprachigen Musical »Emilia Perez«, in dem ein gewalttätiger mexikanischer Drogenbaron sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht, um sich als Frau dann für die Opfer des Drogenkriegs einzusetzen, einen der großen Publikumslieblinge des Festivals.

Noch mehr Applaus gab es nur für Sean Bakers »Anora«, in dem eine junge Sexarbeiterin in New York glaubt, an der Seite eines 20-jährigen Oligarchen-Sprosses das große Glück gefunden zu haben. Doch dann erzwingen die ausgesandten Schergen seiner Eltern die Annullierung der in Las Vegas vollzogenen Ehe. Als energiegeladenes Drama mit viel komödiantischen Aspekten und einer sehr sympathischen Heldin erzählt, belebte »Anora« wie kaum ein anderer Film den zähen Wettbewerb.

Sehr gut kam auch der Thriller der Französin Coralie Fargeat, »The Substance« beim Publikum an der Croisette an, in dem Demi Moore einen Dorian-Gray-artigen Deal eingeht, um dem Schrecken des Alterns zu entkommen. Fargeat wird als heiße Kandidatin auf eine Palme gehandelt.

Noch größere Chancen aber hat vielleicht die Inderin Payal Kapadia, die mit ihrem sehr viel stilleren, aber intensiven »All We Imagine As Light« für ein spätes Highlight im Festival sorgte. Dass die Jury unter Präsidentin Greta Gerwig ein besonderes Augenmerk auf die vier Regisseurinnen im 22 Filme umfassenden Wettbewerb haben wird, gilt als ausgemacht.

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