Cannes: Helden und Antihelden

»Horizon: An American Saga« (2024). © Tobis Film

Kaum ein Genre wird so eng mit der großen Leinwand assoziiert wie der Western. Dass Kevin Costner seinen neuen Film »Horizon« in Cannes vorstellt, erscheint folgerichtig, schließlich hat sich das Festival wie kein anderes in der Auseinandersetzung ums Streaming auf die Seite der Kinoauswertung geschlagen. Nun aber ist »Horizon« nicht etwa ein Einzelfilm, sondern im Grunde der Auftakt einer Miniserie, nur eben fürs Kino: Premiere feierte am Wochenende das erste Kapitel von »Horizon: An American Saga«.

Kapitel 2 ist ebenfalls schon abgedreht. Beide Filme sollen mit einem Abstand von sechs Wochen diesen Sommer starten. Zwei weitere sind in der Planung. Die Cannes-Premiere erwies sich deshalb noch in anderer Hinsicht als wichtiger Schachzug: Bilder eines in Abendkleidung jubelnden Publikums lassen einen Film erfolgreich aussehen, auch wenn die Kritik weniger gnädig ist.

So war es denn zunächst auch ein angesichts von Stehapplaus und »Kevin, Kevin!«-Rufen zu Tränen gerührter Kevin Costner, der die Schlagzeilen bestimmte. Tatsächlich ist der 69-jährige Schauspieler das Beste an seinem eigenen Film. Wo die erste Stunde des dreistündigen Epos sich zunächst in einzelnen Handlungssträngen zu verlieren droht, findet der Film mit seinem Auftritt als undurchsichtiger Westernheld den nötigen Fokus.

»Horizon« will die uramerikanische Saga über die Besiedlung des Westens noch einmal neu erzählen. Costner bringt dazu das übliche Figurenensemble zusammen: Die braven Siedler mit ihren Familien, diverse Glückssucher, Revolverhelden und US-Kavalleristen, erste Migranten aus Asien. Sie alle nehmen entgegen den Interessen der indigenen Stämme das Land in Besitz.

Der Film gibt sich sichtlich Mühe, Appachen und andere indigene Völker nicht bloß als das Fremde und Wilde zu zeigen, wie das im Western meist passierte. Aber ob es ihm gelingt, die Helden und Heldinnen dieser anderen, im Film selbst schon als »Verlierer der Geschichte« charakterisierten Seite genauso einfühlend zu zeigen wie die der weißen Siedler, bleibt abzuwarten. Wie überhaupt dieser erste Teil nicht als abgeschlossener Film funktioniert, sondern lediglich wie eine Einführung wirkt zu dem, was noch kommen soll. Mit großartigen Landschaftsaufnahmen kann »Horizon« zwar fesseln, aber als Drama überzeugt dieser Auftakt noch nicht wirklich.

Eine uramerikanische Geschichte erzählt auch der Wettbewerbsbeitrag »The Apprentice«: Es ist die vom strebsamen Aufstieg eines selbstbewussten Mannes, dem der äußere Schein über jedes innere Sein geht. Marvel-Darsteller Sebastian Stan verkörpert im mit viel stimmungsvollen 80er-Jahre-Details ausgestatteten Film des iranisch-dänischen Regisseurs Ali Abbasi den jungen Donald Trump, wie man ihn nur ungern sieht, nämlich als eventuell sympathischen Menschen.

»The Apprentice« setzt ein mit dem 27-jährigen Trump, der mühsam versucht, aus den Fußstapfen des Vaters heraus in der Immobilienbranche hochzukommen. Der Zufall bringt ihn mit dem für seine Zuarbeit für den McCarthy-Ausschuss notorischen Rechtsanwalt Roy Cohn zusammen. Unter dessen Mentorschaft lernt der formbare Donald die Regeln, die sein Handeln heute noch bestimmen. Regel Nummer 1 lautet: Gib niemals eine Niederlage zu, sondern reklamiere immer den Sieg für dich.

Ob dieser Film Einfluss nehmen könnte auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Herbst, war zu Beginn des Festivals diskutiert worden. Abgesehen vom Zweifel daran, dass ein Arthousefilm eine so bedeutsame Rolle spielen könnte, steht außerdem infrage, in welche Richtung »The Apprentice« wirkt: für oder gegen den voraussichtlichen Kandidaten der Republikaner? Obwohl im Umfeld der Premiere bekannt wurde, dass einer der Geldgeber Klage erheben will, weil er sich im Glauben betrogen sieht, einen Trump-freundlichen Film finanziert zu haben, erscheint Ali Abbasis Film auf interessante Weise zwiespältig.

Zwar untergräbt »The Apprentice« die Sympathie, die man für den Protagonisten hegen könnte, mit gezieltem Herausstellen charakterlicher Deformation und moralischen Versagens in vielerlei Hinsicht. Andererseits vermenschlicht er eine Figur, die die meisten nur als Projektion kennen. Wie man das findet, muss jeder für sich selbst entscheiden. An der Croisette wurden Abbasi und sein Team bejubelt; als Kandidat für einen Regie- oder Darsteller-Preis kommt er allemal infrage.

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