Cannes: Das Mega-Kino der alten Herren

»Megalopolis« (2024). © Caesar Film LLC.

Für das Programm von Cannes war es ein Mega-Coup, dass hier im Wettbewerb der neue Film von Francis Ford Coppola, »Megalopolis«, Premiere feiern würde. Zum einen, weil Coppola zur Geschichte dieses Festivals gehört, konnte er doch bereits zweimal – 1974 mit dem Abhörthriller »The Conversation« und 1979 mit dem Vietnamkriegsepos »Apocalypse Now« – den höchsten Preis gewinnen. Zum andern, weil »Megalopolis« selbst eine Mega-Vorgeschichte hat.

Seit 40 Jahren schon will der inzwischen 85-jährige Coppola diesen Film machen, die Zahl der Drehbuchversionen lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Zuletzt soll Coppola sogar Teile seines Weinguts im Napa-Valley verkauft haben, um die Finanzierung sicherzustellen. Die Erwartungen, dass »Megalopolis« nun das große, vielleicht abschließende Meisterwerk des Hollywood-Titanen sein würde, waren entsprechend hoch.

Ob Coppola die Hoffnungen erfüllt hat, lässt sich nach der Premiere nicht definitiv beantworten. Der minutenlange Stehapplaus scheint zu signalisieren, dass es sich nicht um einen kompletten Reinfall handelt, ist zugleich aber so sehr Routine an der Croisette, dass sich die wahre Qualität eines Films daraus nicht ableiten lässt. Die Kritiker jedenfalls zeigten sich gespalten, wobei die Verrisse die Lobpreisungen erstmal übertönten.

Schon die Prämisse des Films ist in zwei Richtungen sehr ehrgeizig: Einerseits ist »Megalopolis« ein Science-Fiction-Film, der im späten 21. Jahrhundert spielt. Andererseits ist der Handlungsort ein »Neues Rom«, mit dem New Yorker Chrysler-Gebäude im Zentrum. Dort lebt der Architekt Caesar Catalina (Adam Driver), der die Stadt mittels eines von ihm entwickelten Wunderstoffs, dem »Megalon«, als Utopie neu bauen will. Die lateinischen Namen kündigen es an, eine sonore Erzählstimme aus dem Off spricht es auch aus: Es geht um die letzten Tage der Republik.

Die bombastisch bis gekünstelte Szenerie mit Drama zu füllen, gelingt Coppola nur stellenweise. Die Handlung, inspiriert von der Catalinischen Verschwörung im alten Rom, verliert sich in Geschwätzigkeit, die intendierte politische Wirkung, die Sorge um die amerikanische Demokratie, verpufft. Frauenfiguren jenseits der Klischees von intriganter Schlampe oder treuherzig Liebender sucht man vergebens. Dass die von Schauspielern dominierte Jury mit Greta Gerwig als Präsidentin Coppola bei der Preisverleihung ehren wird, scheint dennoch sehr gut vorstellbar.

Richtig gefeiert wurde dagegen wurde der außerhalb des Wettbewerbs laufende »Furiosa«, in dem der 79-jährige George Miller seiner »Mad Max«-Saga, die er 2015 mit »Fury Road« eben hier in Cannes so fulminant wiederbelebte, ein weiteres Kapitel hinzufügt. Diesmal geht es um die Vorgeschichte der von Charlize Theron so eindrücklich verkörperten Figur der taffen Frau am Steuer.

Das Setting – die staubige Wüste, in der sich Motor-Gangs um letzte Ressourcen bekriegen – ist dasselbe wie vor neun Jahren. Anya Taylor-Joy spielt die junge Frau, die als Mädchen von einem Gang-Leader namens Dementus (Chris Hemsworth) entführt wird, und als Erwachsene Rache nehmen will. Zwar ist der Überraschungswert dieser postapokalyptischen Welt nicht mehr der gleiche wie 2015, aber motorisierte Action im Wüstensand kann der Australier Miller so fesselnd inszenieren wie kein anderer.

Die übrigen Wettbewerbsfilme wurden sehr viel zurückhaltender aufgenommen. Viel Lob gab es für die Britin Andrea Arnold, die in ihrem Film »Bird« Elemente des magischen Realismus bemüht, um von einer Zwölfjährigen zu erzählen, die Unterschichts-Patchwork-Familien auf beiden Elternseiten jonglieren muss. Franz Rogowski glänzt als seltsamer Vagabund, der dem Mädchen zur Seite springt, vielleicht aber nur in ihrer Vorstellung existiert. Arnold gelingt eine präzise Milieuzeichnung, die desolate soziale Zustände zeigt, aber Respekt für die Vitalität ihrer Figuren bewahrt. Für die Goldene Palme gilt der Film schon jetzt als Favorit.

Die Französin Agathe Riedinger versucht in »Diamant Brut« etwas ganz ähnliches, wenn sie einer 19-jährigen, übersexualisierten Influencerin durch die Außenbezirke von Fréjus folgt. Lianes Welt, in der lange Nägel, Hotpants, dicke Schminke und viel Glitzer für Schönheit stehen, kommt der Film aber nie wirklich nahe. Riedinger möchte ihre Figur nicht abwerten – und stellt sie doch auf eher unangenehme Weise aus.

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