Retrospektive: »Die Taube auf dem Dach«

»Die Taube auf dem Dach« (1973). © DEFA-Stiftung / Klaus Goldmann

Ich bin nicht mit DEFA-Filmen aufgewachsen, sondern in der westdeutschen Provinz. Bis heute kenne ich viel zu wenige, das merke ich jedesmal, wenn ich einen in einer Berlinale-Retro oder -Hommage sehe.

Aber nicht nur ich habe viel zu wenige der DEFA-Filme gesehen; auch den DDR-Bürgern wurden einige vorenthalten. Beispielsweise, wegen »entstellendem Bild der Arbeiterklasse«, Iris Gusners »Die Taube auf dem Dach«. Der wurde 1973 verboten; nicht nur das: Das Filmmaterial wurde vernichtet. Bis auf eine Arbeitskopie, die lange vergessen war, bis der Kameramann des Films sie 1990 wiederentdeckte. Schlecht gelagert konnte von ihr nur noch eine Schwarzweißkopie gezogen werden, die auch aufgeführt wurde – und merkwürdigerweise wieder verschwand und wieder wiederentdeckt werden musste. Eine abenteuerliche Film-Geschichte, und dabei auch etwas widersinnig: Ingrid Reschkes »Kennen Sie Urban?« hatte 1971 einen viel böseren Blick auf die Arbeiterklasse; wahrscheinlich hatte irgendein Funktionär zwei Jahre später irrsinnig schlechte Laune.

Im Grunde handelt »Die Taube auf dem Dach« von Daniel, einem jungen Studenten, der auf der Baustelle arbeitet. Naja: Eigentlich interessiert er sich für Höheres, fürs Weltall nämlich und das Jahr 2000, und sieht nicht so ganz ein, warum er da Sand schippen soll. Dreh- und Angelpunkt des Films ist aber nicht er, sondern die Bauleiterin, Linda, die auf patente Weise ihre Baustelle organisiert. Die am Telefon flirtet und auch mal sich das Knie betatschen lässt, wenn sie dafür schneller Betonplatten bekommt. Sie geht auf in ihrem Beruf. Und fängt eine Affäre an mit Daniel, zum Verdruss des Brigadiers Böwes, de ebenfalls ein Auge auf sie geworfen hat und sie schon lange umwirbt. Soweit die Grundhandlung – eigentlich einfach. Aber dramaturgisch ist der Film großartig aufgebaut, entfaltet ein Panorama der kleinen Geschichtchen, der Menschen – Eva Trobisch (Regisseurin von »Alles wird gut«) blickt im Begleitbuch zur Retrospektive ausführlich auf diesen Film, auf seine episodische Struktur. Da ist ein Trompeter auf der Baustelle, dessen Üben die Ehefrau nervt – sie haben keine Wohnung, müssen in einem Zimmer hausen, die Wohnungsnot ist ja der Grund, warum gebaut wird. Lindas Eltern kommen mal zu Besuch, sprechen unverständliches Platt, unverständlich vor allem für den palästinensischen Gastarbeiter. Einer der Kollegen baut sich privat ein Haus, solide und gut, aber auch langwierig – erst wenn das fertig ist, wird er sich trauen, nach einer Frau zu suchen. Ein Forstwirt beklagt sich bitter über die Planwirtschaft, in der alles so verplant ist, Linda verspricht ihm Baumaterial fürs Wochenendhaus als Gegenleistung für dringend benötigte 25 Festmeter Holz.

Kleine Miniaturen fügen sich zum Ganzen, das Gefrotzel der Kollegen, der Tanz am Sonntagnachmittag, die Unzulänglichkeiten des Alltags – und Daniel, der sich vom Träumer eines Wolkenkuckucksheim zum brauchbaren Kranfahrer entwickelt. Katalysator dafür: Die idealistische Linda. Die zwischen zwei Männern steckt, und sich schließich entscheidet. Ganz für sich, selbstbestimmt: »Ich will mich nicht von äußeren Situationen zur Entscheidung zwingen lassen!«

Dabei ist der Film bei allem Blick aufs Reale nicht wirklich sozialismuskritisch. Sinnbild: Daniel erklettert beim Sonntagsspaziergang mühsam einen Wasserfall, über Stein und durchs Nass, und oben wartet schon Linda, die den bequemen Weg gegangen ist, nicht mit dem Kopf durch die Wand. Und wenn am Schluss ein Weihnachtskugel-Fabrikant erklärt, dass in seiner Fabrik bestimmt wird, wie bunt Weihnachten wird, und die Kunden nur die Freiheit haben, die Kugeln aufzuhängen – dann ist das nicht unbedingt subversiv, sondern erstens Zustandsbeschreibung, und zweitens kein Grund zur Klage: Weihnachtsstimmung wird so oder so herrschen.

Dass nur eine Schwarzweißkopie von diesem Farbfilm noch existiert, ist einerseits schade, gerade das bunte Weihnachten am Ende wirkt nun blass. Andererseits: Vielleicht würde der Film heute Gefahr laufen, lächerlich weil altmodisch zu wirken (was er nämlich ganz und gar nicht ist!), wenn die wild gemusterten Hemden, die die Männer der 70er-Jahre-Mode gemäß tragen, auch noch bunt wären.

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