Der Sandmann

Québec ist reichlich mit Wasser gesegnet. Die zahlreichen Seen und Flüsse, allen voran der mächtige Sankt-Lorenz-Strom, gehören zu den wichtigsten Energieressourcen der kanadischen Provinz. Es herrscht ein feuchtes Kontinental-, im hohen Norden gar Polarklima. Die Winter sind lang und hart; da kann es schon mal passieren, dass man von der Wüste träumt.

Nahe liegt das nicht. Man könnte sich manch ein Anderswo erhoffen, dessen Lebensbedingungen behaglicher und gnädiger sind. Im Kino des aus Québec stammenden Denis Villeneuve jedoch bildet die Wüste seit langem einen Fluchtpunkt. In „Dune“ tritt sie nun endlich als Sehnsuchtsort in Erscheinung. Sie stellt eine Verlockung dar und eine Aufgabe. Villeneuve bestand darauf, an Realschauplätzen zu drehen. Die Darsteller sollten nicht vor Greenscreen agieren, sondern echten Dünen. Für das Team eine Zumutung (der Wind, der Sandkörner ins Getriebe der Illusionsmaschine weht!), für Regisseur und Publikum eine Aufforderung, in die Wüste einzutauchen wie in einen Spiegel.

Seit mindestens einem Jahrzehnt herrscht in Villeneuves Werk ein merkliches Nord-Süd-Gefälle. Darin stehen dunkel-pastorale Filme wie „Prisoners“ (in dem man nie die Sonne sieht) oder „Arrival“ einem helleren Strang gegenüber, den „Sicario“ und „Blade Runner 2049“ bilden. Der Gegensatz ist auch visuell frappierend, wenn man beispielsweise die metallischen Farbvaleurs von „Arrival“ mit dem Gelborange vergleicht, das in „Blade Runner 2049“ überwiegt. In der Farbdramaturgie der ersten Hälfte von „Dune“ kulminieren diese zwei Tendenzen, sie existieren nebeneinander, kollidieren auch. Der Film braucht seine Zeit, bis er sich der Sphäre öffnet, in die es ihn drängt. Er muss, wie Paul Atreides, seinen Weg finden.

In „Sicario“ ist die Wüste noch ein Grenzphänomen, das sich aus der Handlung ergibt. Sie gehört sowohl den USA wie Mexiko an. Stefano Sollimas Fortsetzung wagt sich, wenn die Erinnerung nicht trügt, erheblich weiter auf der mexikanischen Seite in sie vor. In Villeneuves „Blade Runner“-Sequel hat sich die Natur nach einer Klimakatastrophe Los Angeles und Las Vegas weitgehend zurückerobert. Die Sandstürme, die heftig durch die Städte blasen, besiegeln die Desertation, vor der die Innenräume aber noch Schutz bieten. Beide Filme sind mehr als nur Etüden, aber aus jetziger Sicht wird deutlich, dass Villeneuve sich erst an die Wüste herantasten musste. Als Faszinosum scheint sie schon in den Passagen von „Die Frau, die singt“ auf, die im Mittleren Osten spielen. Villeneuve nutzte die Dreharbeiten, um einen Abstecher nach Jordanien zu machen, wo er einige Drehorte von „Lawrence von Arabien“ aufsuchte, namentlich die atemraubenden Basaltlandschaften. Damals, sagt er heute in Interviews, habe er bereits gedacht, wenn er jemals „Dune“ verfilmen würde, dann hier.

David Leas Film dient gleich in mehrfacher Hinsicht als Ausgangspunkt. Für Frank Herbert war er eine entscheidende Inspirationsquelle. Lawrence und Paul sind junge Helden, die aus der Ferne als Heilsbringer zu einer indigenen Kultur kommen. Ein erster Unterschied: Leans Protagonist reißt dieses Mandat an sich, dem von Herbert/Villeneuve wird es ihm auferlegt. Für den Europäer Lawrence verkörpert die Wüste das große Unbekannte, das ihn herausfordert. Puritaner ist er auch: Er liebt sie, weil sie „rein“ ist. Das ist ein gewissermaßen exterritoriales Gefühl. Prinz Faisal (Alec Guinnes) findet es närrisch, die Araber hassen und fürchten die Wüste; aus gutem Grund. „Dune“ arbeitet daran, diese widersprüchlichen Sichtweisen zu versöhnen.

Die Wüste ist auch hier natürlich ein feindseliges Ambiente, in dem man sich nur kraft Charakterstärke behauptet, ein Ort der Konfrontation – extreme Lebensbedingungen werfen Filmfiguren unweigerlich auf sich selbst zurück – und der Bestimmung. Paul kennt sie bereits aus seinen Träumen. Nun muss er sie verstehen lernen, was auch heißt: begreifen. Der Sand ist so etwas wie das fünfte Element im Film (großartig, wie Villeneuve die eigentlichen ins Spiel bringt, man nehme nur einmal das Motiv der Spucke). Er wird mit Hitze, aber nicht mit Feuer assoziiert. Sandstürme können Metall zerschneiden. Zugleich ist der Sand ein wichtiger Rohstoff, der nicht nur aus Quarz besteht, sondern dem vieldeutigen Spice, das bereits in der zweiten Einstellung – die erste schwelgt im Anblick einer verwehten Düne -, ausgebeutet wird. Villeneuve filmt Pauls erste Begegnung mit diesem Element wie ein Rendezvous, an das er vorsichtig und wachsam herangeht. Seine ersten Schritte wirken nicht bang, aber ehrfürchtig. Er lässt seine Hand in einigem Abstand über den Sand gleiten, erst später lässt er ihn durch die Hand rieseln. Die Körner funkeln verführerisch.

Ihnen wohnt eine spirituelle Kraft inne: „Dune“ konzentriert sich in seiner zweiten Hälfte auf Pauls Initiation. Auf seinem Heimatplaneten galt es, land power und sea power zu beherrschen. Nun soll er desert power erstreiten. Dazu muss er von den Fremen lernen und letztlich einer von ihnen werden. Sie sind ein Teil der Wüste, die Wüste ein Teil von ihnen. Bei einer Schlacht tauchen sie aus dem Sand auf, in den sie sich strategisch vergraben haben. Einiges hat Paul in seinen Träumen schon vorausgeahnt. Er weiß, dass das Überqueren der Dünen einen besonderen Gang erfordert, der die Sandwürmer nicht aufscheucht. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern vertraut er sich und seine Mutter kühn einem Sandsturm an. Er liefert sich nicht aus, aber gibt sich hin. Der Filmtitel stellt klar, dass dies der erste Teil von „Dune“ ist. Hoffentlich gibt es einen zweiten, in dem Paul seinen Weg weitergehen kann.

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