Tiefe Taschen

In Hollywood droht gerade ein fabelhafter Traum zu Ende zu gehen. Eine der interessantesten Produktionsfirmen, nein, die interessanteste Produktionsfirma dieses Jahrzehnts steht vor dem Bankrott. Der Romantiker in mir hofft, dass daran nicht die großartigen Filme schuld sind, die Annapurna produziert hat.

Die Firma ist gerade einmal acht Jahre alt. Ihre Anfänge waren sympathisch bescheiden. »Lawless« und »Killing them softly« waren kleine, schmutzige Genrefilme, wie sie auch in den frühen 70er Jahren, im Windschatten des New Hollywood, hätten entstehen können. Aber schon »The Master« von Paul Thomas Anderson und »Zero Dark Thirty« von Kathryn Bigelow verrieten größere Ambitionen: Das waren Projekte, mit denen sich Oscars gewinnen ließen. 2013 hatten Annapurna Pictures mit »American Hustle« ihren ersten Blockbuster im Portfolio; es sollte freilich der einzige Titel bleiben, mit dem sie richtig Kasse machten. Nebenher entstanden Perlen wie »Foxcatcher« und Spike Jonzes »Her« als Co-Produzent von Wong Kar-wais »The Grandmaster« zeigte Annapurna die Bereitschaft, auch über den US-amerikanischen Tellerrand hinauszublicken. Man konnte den Eindruck gewinnen, hier würde ein Mini-Studio wie weiland Orion entstehen, das sich zunächst einmal für die Ideen und Wünsche der Filmemacher interessierte, bevor es an das Einspielergebnis dachte. Annapurna bekam bald ein scharfes Profil, stand für ein Kino, das Einsichten gewinnen und unbequeme Kapitel der Zeitgeschichte aufarbeiten will. Auch über die Firmenkultur, die dort herrschte, war viel Gutes zu hören.

Gegründet wurde Annapurna Pictures im April 2011 von Megan Ellison, deren Vater Larry als Mitgründer und -inhaber des Softwarekonzerns Oracle ein Vermögen von angeblich 70 Milliarden Dollar angehäuft hat. Auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt nimmt er jedenfalls den siebten Platz ein. Sie konnte an das Vorhaben mit tiefen Taschen herangehen. Ihre Firma nannte sie nach der Gebirgskette im Himalaya, die sie einmal erwandert, aber wohl nicht erklommen hat. Deren Name wiederum geht auf die Hindugöttin der Ernährung zurück, was auch keine schlechte Assoziation für eine solche Wohltäterin ist. Denn anfangs konnte man ihre Unternehmungen als Mäzenatentum im Stil Charles Foster Kanes betrachten, der bei Welles süffisant behauptet, wenn seine Zeitung jährlich eine Million Verlust mache, wäre er erst in 60 Jahren bankrott. Aber Ellisons Engagement war mehr als eine Laune, sie hatte im Filmgeschäft schon einige Jahre zuvor angefangen, als sie bei einem Kurzfilm den Tongalgen hielt. Bestimmt ging sie auch nicht ohne verantwortlichen Geschäftssinn daran. Die Budgets ihrer Produktionen bewegten sich stets im mittleren Bereich. 2014 stand sie auf der "Times"-Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Solche Listen haben zuweilen zwar mehr mit Erwartungen, als mit bereits Geleistetem zu tun. Immerhin ist sie die erste Produzentin, die gleich zwei Titel im Rennen um den Oscar für den Besten Film des Jahres hatte.

Vielleicht steckt ja doch eine Gipfelstürmerin in ihr, denn ihr unternehmerischer Ehrgeiz steckte sich immer höhere Ziele. Als nach »Spectre« der Vertrag zwischen Sony und Eon Productions über das Bond-Franchise auslief, bot sie mit, gegen die mächtige Konkurrenz von Warners, Universal und anderen Majors. Außerdem stieg sie in die Game-Produktion ein und wollte 2017 endlich ihre Produktionen auch selbst verleihen. Letzteres hat eventuell das Schicksal ihrer Firma besiegelt. Es hätte das Annus mirabilis für Annapurna werden können, damals waren die Starts von »Detroit« und »Der seidene Faden« avisiert und leuchteten am Horizont schon »Beale Street« und »The Sisters Brothers« auf. Weihnachten 2018 beging Annapurna den verhängnisvollen Fehler, »Beale Street«, »Destroyer« und »Vice« am selben Tag herauszubringen. Mit Barry Jenkins' Film machte die Firma acht Millionen Verlust, das Dick-Cheney-Porträt schlug, bei einem Budget von 65 Millionen, mit 15 Millionen zu Buche. Jacques Audiards Film, der 38 Millionen kostete, spielte in den USA gerade einmal eine Million ein, was der relative Kassenerfolg in Frankreich mitnichten aufwiegen kann. Nur mit dem Verleih von des kostengünstigen »Sorry to Bother you« erzielte Annapurna in dem Geschäftsjahr einen kleinen Gewinn.

In diesem Jahr sieht es kaum besser aus. »Booksmart« von Olivia Wilde blieb zwar hinter den Erwartungen zurück, könnte dank des geringen Budgets aber in die Gewinnzone kommen. Dergleichen lässt sich für „Bernadette“ von Richard Linklater nach dem enttäuschenden Startwochenende nicht erhoffen. Die amerikanischen Branchenblätter sprechen von einem Schuldenberg von 200 Millionen Dollar, von dem Annapurna möglicherweise herunter käme, wenn Larry Ellison die Verbindlichkeiten bei den Banken tilgen würde: mit 85 Cent, wie zu lesen ist, auf den Dollar.

Es ist traurig, dass in diesem Teil des heutigen Eintrags nur noch von Zahlen die Rede ist. Ich fände es viel erfreulicher, von »Der seidene Faden«, »Beale Street« und »The Sisters Brothers« zu schwärmen, die zu meinen absoluten Favoriten der letzten Jahre gehören. Aber anscheinend lässt sich diese Firmengeschichte nur als Warnung vor dem amerikanischen Traum von ungezügelter Expansion erzählen. Anfangs war Annapurna vielleicht noch too small to fail. In "Variety" ist dieser Tage ein Brief von Megan Ellison zu lesen, in dem sie ihre Angestellten beschwört, an ihrem gemeinsamen Traum festzuhalten und den öffentlichen Spekulationen zu misstrauen. Ihr Optimismus klingt eher trotzig als kämpferisch. Es sei ganz normal, räumt sie ein, dass es bei einem Unternehmen wie diesem auch mal zu Umstrukturierungen komme. Vielleicht hat sie dabei den Titel eines Films im Hinterkopf, den sie im Unglücksjahr 2017 produzierte: »Downsizing«.

 

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