Unerschütterlich leichtfertig

Es ist stets ein mulmiges Gefühl, Filme wiederzusehen, die man vor vielen Jahren einmal mit glühenden Wangen verfolgt hat. Solche Wiederbegegnungen sind riskant. Selten laufen sie auf eine Bestätigung hinaus, meist lassen sie die Differenz vermessen zu dem, der man einmal war. Unschuld lässt sich nicht rekonstruieren.

Gérard Barray war der strahlende Held vieler Sonntagnachmittage, die ich vor dem Fernseher verbrachte. Ich bewunderte seine Tollkühnheit und sein überschäumendes Temperament, begeisterte mich für seine Rauflust, die ganze Heerscharen in die Flucht schlug. Seine schneidige Ausstrahlung ließ keinen doppelten Boden vermuten. Das genügte mir, mehr brauchten D'Artagnan, der Musketier Pardaillan oder der Korsar Surcouf nicht. Die Nonchalance, mit der Barrays Figuren Frauenherzen brachen, war mir damals eher nebensächlich. Das berührte eine Saite, die vor Anbruch der Pubertät noch keinen verlockenden Klang hatte.

Nicht nur sein Name, sondern auch sein Antlitz unterschieden ihn von den Hollywoodhelden, deren Abenteuern ich sonst entgegenfieberte. Denen fehlte sein urwüchsiges Raffinement. In Barrays Augen lag ein Funkeln, das für mich ganz der Mentalität seines Heimatlandes angehörte. Vor allem seine Augenbrauen faszinierten mich. Sie waren ungemein agil, formten sich zu einem Bogen, den nur seine Gesichtsmuskeln entwerfen konnten. Sie markierten keine Nachdenklichkeit, sondern die Bereitschaft, sich munter den Gefahren zu stellen, die ihn erwarteten.

Drei, vier Jahrzehnte sind seither vergangen. Gedacht habe ich schon hin und wieder an ihn, ohne ihn wirklich zu vermissen. Der Spott über seine Gegner würde mir jetzt gewiss hohl, der über seine Lakaien herablassend erscheinen. Auch im Bezug auf sein Talent schürten die Jahre meine Skepsis. Barray besaß nicht annähernd Jean Marais‘ erotische Vieldeutigkeit (andererseits, warum sollte er?), ihm fehlte dessen Melancholie. In Filmlexika sucht man vergebens nach ihm. Die Phantasie der seriösen Kritik beschäftigt einer wie er nicht nachhaltig. Er verkörpert keine Botschaft (etwa vom jugendlichen Aufbegehren der 60er Jahre), die über das Genre hinausweisen würde. Seine Karriere als Kassenmagnet dauerte nicht einmal ein Jahrzehnt.

Ich richtete mich auf eine gründliche Entzauberung ein, als ich vor ein paar Jahren »Der Tiger der sieben Meere« wiedersah (der im Fernsehen als Vierteiler unter dem Titel »Das Wappen von Saint Malo« lief), da ich ihn nun in einer DVD-Kritik würdigen durfte. Barray spielt Robert Surcouf, der während der napoleonischen Kriege die englische Flotte in Angst und Schrecken versetzte. Die Nachfahren des Korsaren waren mit der Besetzung übrigens gar nicht einverstanden; sie fürchteten, er würde zu viel lächeln. Der glühende Patriotismus stand ihm indes glaubhaft zu Gesicht. "Engländer kämpfen für Ruhm und Ehre", sagt ein Gegner zu ihm, worauf er keck erwidert: "Jeder kämpft für das, was er nicht besitzt."

Seine Karriere in den 60er Jahren verdankt sich nicht zuletzt dem prächtigen Gedeihen französisch-italienisch-spanischer Co-Produktionen. Als Mischung von Piraten- und Mantel-und-Degen-Film verkörpert der »Tiger« 1966 bereits die Abenddämmerung beider Genres. Insgeheim leitete mich beim Wiedersehen die eitle Zuversicht, dass mein damaliger Geschmack womöglich ganz so schlecht nicht gewesen sein mag. Barrays hochgezogene Brauen verrieten noch immer eine wache, ironische Abenteuerlust. Er verlacht übermütig die Gefahr und das Schicksal, kennt keine innere Zerrissenheit, muss nicht geläutert werden oder sich rehabilitieren. Für die schelmische Demütigung seiner Gegner brauchte er ein dankbares Publikum. Sein Elan, die anmaßende, freche Leichtfertigkeit waren nach wie vor verführerisch, wenngleich meine Wangen nicht mehr ganz so glühten. Allerdings hatte ich inzwischen auch die Schattenseite seiner Leinwandpersona kennengelernt. In zwei Karl-May-Adaptionen, »Der Schatz der Azteken« und »Die Pyramide des Sonnengottes«, spielt er den nichtsnutzigen Sohn eines Großgrundbesitzers, der zum kaltblütigen Mörder wird.

Auf meine DVD-Kritik erhielt ich ein, zwei Leserbriefe, die zeigten, dass mein Entzücken nicht exklusiv war. Tatsächlich gibt es noch einen TV-Sender, der die Erinnerung an die gediegen trivialen Erzähltraditionen im europäischen Kino wachhält: den MDR. Dort gehören viele Genrefilme noch zum Tagesprogramm (wenn auch zu unmöglichen Zeiten – mittags oder ganz früh morgens am Wochenende). Die Hingabe dieses Senders an den Mantel-und-Degen- sowie den Sandalenfilm habe ich an dieser Stelle noch gar nicht ausreichend gewürdigt. Auf der nostalgischen Welle erleben beispielsweise auch Lex Barkers italienischen Ritter- und Piratenfilme regelmäßig eine diskrete Renaissance.

Dazu habe ich mir eine Theorie zurechtgelegt. In DDR-Zeiten herrschte ein Hunger nach Abenteuergeschichten, den man verständlicherweise nicht mit Erzeugnissen aus Hollywood stillen mochte. Da waren Genrearbeiten aus Italien und Frankreich eine willkommene Alternative – was ideologisch auch dadurch gedeckt war, da es in diesen Ländern jeweils eine kommunistische Partei mit großer Anhängerschaft gab. Keine Ahnung, welche Quoten der mitteldeutsche Sender damit erzielt. Ganz entmutigend können sie nicht sein, denn die Kost verteidigt beharrlich ihre Programmplätze.

Nun feiert der MDR Gérard Barrays Geburtstag am 2. November. Es ist kein runder – er wird 85 -, aber ein hübscher Vorwand. Am Sonntag war er in »Die korsischen Brüder« zu sehen, als hochmütiger, leichtfertiger korsischer Patriot, der kein Duell scheut. Wiederum eine Figur, die irgendwann auf der falschen Seite steht, aber ambivalenter als in den May-Filmen. Am Freitagmittag darf man ihn in »Der Triumph des Musketiers« bewundern. Die eigensinnige Perücke seines Knappen ist ziemlich albern, aber Barray ist draufgängerisch wie eh und je.

Lange habe ich darüber spekuliert, was er seit den Sechzigern getrieben hat. Ich stellte mir vor, er habe sich der Zucht edler Pferde gewidmet. Da hatte ich seinen aristokratischen Zug wohl überschätzt. Tatsächlich betrieb er mit seiner Frau, einer ehemaligen Flamencotänzerin, in Spanien eine Diskothek. Um die Jahrtausendwende erlebte er ein kleines Comeback, in »Öffne die Augen« von Alejandro Amenabar und in »Sexy Beast«. (Bis dahin kannte ich ihn tatsächlich nur aus Kostümfilmen.) Auch mit dem Orden des "Chevalier des arts et lettres" wurde er ausgezeichnet. Obwohl sie anscheinend seit sechs Jahren nicht mehr aktualisiert wurde, lohnt seine (auch englischsprachige) Website einen Besuch. Zur Feier des 85. werde ich mir das Gespräch zwischen ihm und Claude Carliez anschauen, einem der großen Stuntmen und Fechtmeister des französischen Kinos.

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