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Xavier Dolan am Set von »Mommy« (2014). © Weltkino

Es ist nicht das Ende der Welt, sondern, recht eigentlich betrachtet, nur eine Kleinigkeit. Aber in Frankreich hat diese Nachricht dennoch erheblich Wellen geschlagen: Xavier Dolan verkündete in der Huffington Post, dass sein nächster Film nicht im nächsten Jahren in Cannes laufen wird.

Seine Ankündigung wurde im Vorfeld des Frankreich-Starts seines aktuellen Films »Juste la fin du monde« publik. Sie ist halb Prophezeiung, halb Anmaßung. Streng genommen ist es ja dem Festival vorbehalten mitzuteilen, was es ins Programm nehmen wird und was nicht. Aber acht Monate vorher besitzt wahrscheinlich noch nicht einmal dessen Leiter Thierry Frémaux so viel Weitblick. Skeptische Geister in Paris vermuteten, Dolans Äußerung sei seiner Enttäuschung über die flaue Aufnahme seines aktuellen Films beim diesjährigen Festival geschuldet. Ein Narzisst wie er ist leicht gekränkt. Aber ertappen lassen will er sich dabei vielleicht dann doch nicht. Über die sozialen Medien teilte er mit, »The Life of John F. Donovan«,sein erster englischsprachiger Film mit Jessica Chastain und Susan Sarandon, werde im nächsten Mai schlicht und einfach nicht fertig sein, die Dreharbeiten zögen sich bis zum Juni hin. Diese Taktik entspricht geradezu mustergültig der alten Rechnung eines französischen Zeitungsmagnaten, der der Ansicht war, eine Meldung und ein Dementi ergäben zwei Meldungen. Es ist auch nicht dumm, wenn Dolan schreibt, er ziehe es vor, seine Energie auf sein Schaffen zu konzentrieren und nicht auf die Reaktionen darauf. Andererseits wird darin selbstverständlich auch die Kränkung spürbar, die der letzte Mai bei ihm hinterlassen hat.

Für gewöhnlich habe ich ein offenes Ohr für die Verlautbarungen dieses selbstbewussten Wunderkindes aus Québec, das sich die Maxime Francis Bacons zu eigen gemacht hat, Schweigen sei eine Tugend für Narren. An dieser Stelle habe ich mich schon häufiger mit ihm beschäftigt, namentlich mit seinem Verdruss über Fuji, die kein Filmmaterial mehr für einen seiner Filme liefern wollten (»Postume Dankbarkeit« vom 6. August 2014), auch sein Video »Hello« für Adele wurde hier gewürdigt (»Vermischte Nachrichten« vom 4. November letzten Jahres); leider versäumte ich es, auf den Beschwerdebrief hinzuweisen, den er im Januar an Netflix schickte, wo sein Film »Mommy« im falschen Format gestreamt wurde, was er als üblen Eingriff in sein Urheberrecht empfand. Kurz gesagt, sein Narzissmus ist mir teuer, schließlich stellt er eine wesentliche Triebfeder seiner großartigen Filme »Ich habe meine Mutter getötet«, »Herzensbrecher« oder »Laurence Anyways« dar. Deshalb beschäftigt mich auch diese Petitesse. Sie erscheint mir zudem aufschlussreich in einer Hinsicht, die über den momentanen Sturm im Wasserglas hinausweist.

Dolan hat Cannes viel zu verdanken. Seit seinem ersten Film (den er realisierte, als er noch nicht einmal volljährig war) wurde er dort mit Preisen überhäuft und hat sich zielstrebig von den bedeutenden Nebensektionen des Offiziellen Programms bis zum Wettbewerb hochgearbeitet. Er ist an der Croisette zu einem Markenzeichen geworden. Umgekehrt funktioniert die Rechnung ebenso, das Festival hat selbstverständlich auch von ihm profitiert. Und an diesem Punkt wird es interessant. Das Verhältnis zwischen Cannes und ihm gleicht einer Verabredung, die mit einer Ausnahme (»Tom à la ferme«/»Sag' nicht, wer du bist« lief in Venedig) strikt eingehalten wurde. Aber ein Festivalprogramm sollte nicht verabredet, sondern ausgewählt werden. Man darf den Eindruck gewinnen, dass Cannes, weit stärker als Venedig, auf den Glanz bestimmter Namen setzt. Der Wettbewerb ist wie ein Club, in dem sich Herren eines gewissen Alters und Ruhms alljährlich treffen. Das ist regelmäßig schon während der Berlinale zu spüren, wenn die Branchenblätter, durchaus schadenfroh, über die Aspiranten für Cannes spekulieren. Es fällt auf, dass es dabei stets um Namen geht, noch nicht um Filme. Diesen Automatismus hat Xavier Dolan nun aufgekündigt. Ein Film, dessen Dreharbeiten im Juni abgeschlossen sein sollen, wäre zweifellos ein Kandidat für Venedig 2017. Aber vielleicht kommt es auch alles ganz anders und der verlorene Sohn kehrt an die Croisette zurück? Hoffen wir, dass uns im nächsten Frühjahr spannendere Fragen beschäftigen werden.

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