arte-Mediathek: »Brainwashed – Sexismus im Kino«

»Brainwashed – Sexismus im Kino« (2022). © Brainwashedmovie LLC

»Brainwashed – Sexismus im Kino« (2022). © Brainwashedmovie LLC

Die fragmentierte Frau

Erinnern Sie sich an den Anfang von »Lost in Translation«? An die erste Einstellung, die uns in einem Schwenk Bill Murrays Hintern in einer transparenten Unterhose präsentiert? Nein? Das liegt daran, dass Sofia Coppolas Film so nicht beginnt. Also den Hintern gibt es schon, aber es ist der von Scarlett Johansson, die uns hier – Pars pro Toto – als Protagonistin vorstellt wird. Bill Murray wird selbstverständlich mit einer Nahaufnahme auf sein Gesicht eingeführt.

Warum uns das selbstverständlich scheint, erläutert Nina Menkes' Dokumentarfilm »Brainwashed: Sexismus im Kino«. Ihre These lautet vereinfacht: Die genreübergreifend geschlechtsspezifische Bildsprache degradiert Frauen zu passiven Objekten, während heterosexuelle Männer – vom Zuschauer über den Regisseur bis zum Kameramann und dem Protagonisten auf der Leinwand – zu aktiven Subjekten stilisiert werden. Da Bilder so unmittelbar und unbewusst wirken und Film ein Massenmedium ist, begünstigt diese Art der Inszenierung ein Klima, in dem Frauen systematisch diskriminiert werden.

Menkes, die selbst Filmemacherin und Dozentin an verschiedenen Filmschulen in den USA ist, hat die Vortragsreihe »Sex and Power: The Visual Language of Oppression« basierend auf Recherche, Erfahrungen und Studien konzipiert. Der jetzt daraus entstandene Dokumentarfilm ist im Prinzip ein abgefilmter Vortrag. Menkes doziert, Expertinnen werden in Talking-Heads-Interviews eingeblendet, Studierende schauen konzentriert und manchmal empört auf die Leinwand, auf der zu jedem Argument Beispiele aus unterschiedlichen Epochen der Filmgeschichte präsentiert werden. Durch bedeutungsschwangere Musik und Lichtsetzung wirkt das leider stellenweise wie eine Folge »X-Factor« mit Jonathan Frakes. Menkes' Botschaft ist es dennoch wert, gehört zu werden.

Sie arbeitet die geschlechtsspezifischen filmsprachlichen Mittel, die sich seit Einführung des Tonfilms Ende der 1920er Jahre manifestiert haben, auch für Laien nachvollziehbar heraus. So werden Frauen meist aus der Perspektive einer männlichen Figur beobachtet, angeschaut und so zu einem passiven Objekt gemacht. So weit der bekannte »male gaze«, der auf Laura Mulveys legendären Essay »Visual Pleasure and Narrative Cinema« zurückgeht, der 1975 die feministische Filmkritik begründete. Auch die Einstellungsgröße unterscheidet nach Geschlecht: Männerkörper sind meist intakt, zumindest ist ihr Gesicht zu sehen, während Frauenkörper fragmentiert und angeschnitten – gern ohne Kopf – präsentiert werden. An ihnen wird, meist wenn sie leicht bekleidet oder nackt sind, entlanggeschwenkt, oder sie bewegen sich in Zeitlupe.

Nackte Männer sind viel seltener und meist mit Action, Kämpfen oder sportlichen Aktivitäten beschäftigt. Diesen ästhetischen Kanon haben nicht nur »alte weiße Männer«, sondern auch feministische Filmemacherinnen und wir als Publikum verinnerlicht. Das erklärt, warum Sofia Coppola dachte, ein Establishing Shot auf einen Frauenpo sei eine gute Idee.

Mulveys Text und seine psychoanalytische Methodik ist heute in der Filmwissenschaft umstritten, und auch Menkes' Ansatz ist diskutabel. Eine subversive Lesart durch homosexuelle/weibliche/queere Zuschauer*innen kommt bei ihr nur am Rande vor, ethnische Herkunft, Klasse oder Behinderung – die sogenannten intersektionalen Diskriminierungskategorien, wie sie für aktuelle Diskurse wichtig sind – blendet Menkes komplett aus. Spannend wäre auch, ob die in Cast und Crew diversen neuen Serien diese Bildsprache ebenfalls reproduzieren. Analog zur altbackenen Inszenierung wirkt Menkes' These durch diese Auslassungen etwas angestaubt. Nichtsdestotrotz ist die schiere Fülle an gleichförmigen Filmausschnitten überzeugend und erschreckend.

Hoch anzurechnen ist Menkes, dass sie keine alten Klassiker canceln will und uns mit positiven Gegenbeispielen entlässt. Was sie fordert, ist ein kritischer Blick, das aufmerksame Hinterfragen eigener Sehgewohnheiten und eine alternative Bildsprache. Nicht nur im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch für eine innovativere, die diverse Wirklichkeit abbildende und letztlich dadurch spannendere Filmkunst.

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