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Von Gdansk nach Teheran

Im Dezember 1978 war der polnische Autor und Reisejournalist Ryszard Kapuściński in den Iran gereist, um dort als Korrespondent die wachsenden Proteste gegen das Schah-Regime zu begleiten. Etwa zur gleichen Zeit ging der Soziologiestudent und spätere Journalist Andreas Hoessli mit einem zweijährigen Promotionsstipendium nach Polen, um Strukturen und Machtverhältnisse der Planwirtschaft zu erforschen. Dort gerät auch er in unruhige Zeiten: den Streik der Gdansker Werftarbeiter:innen, aus denen die Gründung der Gewerkschaft Solidarność hervorgehen sollte. Dass Hoessli bei seinen Tätigkeiten Kontakt zu einigen Oppositionellen aufnahm, machte ihn interessant für die Staatssicherheit SB, die ihn als sogenannten Figuranten führte. Außerdem begegnete der junge angehende Journalist dem damals schon legendären (und von ihm bewunderten) Kollegen Ryszard Kapuściński, der aus dem brodelnden Iran in das eigene Land zurückgekehrt war.

Heute ist der Schweizer Hoessli ein gestandener Dokumentarist, der über vierzig Jahre nach seiner ersten Warschauer Zeit wieder zu Recherchen nach Polen und auch in den Iran reiste. Das Ergebnis ist dieser Film. Gegenstand der Erforschungen waren die Spuren und mentalen Folgen der beiden so unterschiedlich verlaufenen Aufbruchsbewegungen, die Hoessli in Talking-Head-Statements damals Beteiligter (und einer jungen iranischen Künstlerin als einziger Frau), Archivfilmen und eigenen beobachtenden Aufnahmen aus dem Jetzt darstellt: von einem ausführlichen Besuch der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution in Teheran, wo Frauen und Männer mit Postern »Tod den USA« fordern, oder von langen Fahrten durch Warschau im Zwielicht. Dazu Gespräche mit polnischen Geheimdienstlern über die Psychologie der Anwerbung.

Verbunden werden die achtzehn durch Schwarzfilm getrennten »Fragmente« durch eine von Bruno Ganz (der im Produktionsjahr des Films starb) gesprochene persönlich-auktoriale Erzählung, in die wiederholt Sequenzen aus Texten Kapuścińskis einfließen. Dessen doppelte Präsenz bei den Konflikten im Iran und in Polen ist ­inhaltliche Klammer des Films und Grundlage der künstlich-künstlerischen Verbindung der zwei unterschiedlichen historischen Ereignisse.

Die Montage von Lena Rem verknüpft Ton- und Bildebenen raffiniert, so dass ein ästhetisch faszinierendes Geflecht unterschiedlicher visueller Ebenen und ­Texturen entsteht. Dennoch funkte es, jedenfalls bei mir, nicht wirklich – und das nicht nur weil Hoesslis Begriff von Revolution bis zum Ende unklar bleibt. Auch die sonstige Argumentation will sich nicht richtig scharfstellen. Das rührt vom nicht wirklich produktiven Hin und Her der Schauplätze. Vom Anekdotischen vieler beigetragener Statements. Aber auch von der Ausblendung sozialer und politischer Realitäten, die sich im Idealismus von Kapuścińskis vorgetragenen Ansichten – etwa von der Revolution als Akt individueller Freiheit – spiegelt. Sehenswert ist der Film trotzdem wegen seiner filmischen Qualität und des starken Archivmaterials aus dem Iran im Umbruch.

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