King Lear von Chicago 

The Boss, USA 2011-12, Gus Van Sant

»Satan, your kingdom must come down!«, singt Robert Plant mit raunender Stimme, wie ein Orakel zur korrupten Politik im Rathaus von Chicago: »I’m gonna pray until they tear your kingdom down.« Wenn dann Kelsey Grammer mit einem Gesicht wie in Mount-Rushmore-Stein gemeißelt als Bürgermeister Tom Kane auftritt, dann zeigt sich der unerbittliche Powerpolitiker gleich in den ersten Szenen von seiner verletzlichsten Seite. Weder im Büro, noch in einer Praxis, sondern im neutralen Niemandsland eines verfallenen Betonrohbaus eröffnet seine Ärztin ihm, dass er unter der degenerativen Hirnkrankheit Lewy-Körperchen leidet, die ihn in den nächsten drei bis fünf Jahren zum hilflosen Bündel machen wird, das weder seine Gedanken noch seine Bewegungen kontrollieren kann.

Eine harte Prognose, von der er nicht mal seiner Frau (Connie Nielsen) erzählt, um seine politische Karriere nicht zu gefährden. Da er weiß, wie schnell sich die Bluthunde von Presse und Politik auf einen stürzen können, bestellt er seine Medikamente nicht auf Rezept, sondern beim lokalen Drogendealer. Während er also als »Godfather« von Chicago die Strippen der Stadtpolitik zieht – wobei es vorkommt, dass unliebsame Zeugen verschwinden oder ein allzu geschwätziger Auftragnehmer als Abbitte seine Ohren in einer Kiste übergibt – versucht er akribisch, die Symptome seiner Krankheit zu überspielen.

Kelsey Grammer lässt diesen Mann, der ihm einen Golden Globe eingebracht hat, so grandios zwischen Stärke und Verletzlichkeit oszillieren, dass man nie ganz sicher sein kann, ob seine Unberechenbarkeit raffinierte Strategie ist oder beginnender Kontrollverlust, und ob die aufbrausende Aggressivität Teil der Krankheit ist oder Markenzeichen seiner Einschüchterungspolitik.

Ausführender Produzent der Serie ist Gus Van Sant, der auch die erste Episode inszeniert hat und mit seinem ersten Ausflug ins Fernsehen ganz nah an den stadtpolitischen Verflechtungen im San Francisco von Harvey Milk liegt. Nach eigenen Aussagen war er fasziniert vom Geflecht der Beziehungen und Abhängigkeiten, das in der Politik und im organisierten Verbrechen ebenso wirkt wie im Filmgeschäft. Statt konkret politische Stellung zu beziehen, legt die Serie auf faszinierende Weise die Kräfte frei, die nicht nur in der fiktiven Machtpolitik wirken.

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