Die Telefonzelle am Ende des Universums

Warum Doctor Who so gut ist und nicht sterben kann

Es ist eigentlich die erfolgreichste Serie aller Zeiten. Jedenfalls die langlebigste. Seit fünfzig Jahren gibt es die Geschichten um den Zeitreisenden Doctor Who nun schon. Und es ist nicht zu spät einzusteigen

Der 23. November 2013 war der Tag des Doktors. – Welcher Doktor? Eben genau dieser, seit der ersten Folge im Jahr 1963 hört der im Lauf der Seriengeschichte von zwölf verschiedenen Darstellern gespielte Zeitreisende vom Planeten Gallifrey und Protagonist der Serie Doctor Who nur auf diesen Titel. Sein vollständiger Name wäre ohnehin unaussprechbar. Er gehört zur mysteriösen Spezies der Time Lords und reist mit der als Notrufzelle getarnten TARDIS durch Raum und Zeit. Zumindest zu Beginn der 1960er Jahre funktionierte die Tarnung als blaue Polizei-Telefonzelle noch ganz gut, im heutigen Kontext erscheint sie eher, als wäre die Zeitmaschine aus Zurück in die Zukunft nicht in einen Sportwagen, sondern in einen Oldtimer eingebaut worden. Aber genau in diesem merkwürdigen Wechselspiel zwischen nostalgisch anmutender Retro-Sci-Fi und modernisiertem Erscheinungsbild besteht für einen Quereinsteiger der eigenwillige Charme des Doctor-Who-Kosmos, dessen elektronische Titelmusik ähnlich prägnant erscheint wie die etwas bekanntere Star-Trek-Fanfare. Wie bei den Star-Trek-Serien gehörte die systematische Vermischung der Genres – von Situationskomik zu melodramatischer Tragik, von spielerischer Abenteuergeschichte zu dystopischer Parabel – von Anfang an zu den prägenden Merkmalen der Serie.

Im Unterschied zu den ausdifferenzierten historischen Epochen des Star-Trek-Universums, die ihre jeweilige Entstehungszeit und später auch die eigene Seriengeschichte kritisch reflektieren, scheint Doctor Who weit weniger auf eine strukturierte Erschließung angewiesen zu sein. Es bietet sich durchaus an, je nach Interessenslage auf Expedition zu gehen und sich einzelne Episoden herauszupicken. Wie in fortlaufenden Comicreihen gibt es immer wieder zusammenhängende erzählerische Einheiten, die jedoch anfangs noch keinem die Mythologie der Serie definierenden story arc folgen. Stattdessen kommt es in regelmäßigen Abständen zu Auseinandersetzungen mit prominenten Gegenspielern wie den durch Implantate in kaltblütig kalkulierende Maschinenwesen transformierten Cybermen oder dem Master, einem bösartigen Time Lord, der in bester Comicschurken-Tradition als dunkles Spiegelbild des Doktors aufgebaut wurde. Zum festen Bestandteil der Popkultur avancierten die von dem Autor Terry Nation erfundenen Daleks, rachsüchtige, an eine Mischung aus Mülltonne und Panzer erinnernde Cyborgs, die ihrer markanten Standardphrase »Exterminate!« folgend Verderben und Gefahr über die Galaxis bringen. Das verbindende Element bilden die dreizehn Inkarnationen des Doktors, der sein Gedächtnis auf seine Nachfolger übertragen kann. Begleitet wird er, ähnlich wie die als Buddy-Team operierenden Helden des neueren Actionkinos, von wechselnden Companions, darunter Charaktere wie die in den 1970er Jahren aktive, wortgewandte Journalistin Sarah Jane Smith, die in den 2000er Jahren bis zum Tod ihrer Darstellerin Elisabeth Sladen auch eine eigene Spin Off-Serie unter dem Titel The Sarah Jane Adventures bekam.

In Großbritannien ist Doctor Who der Inbegriff einer Kultserie, im restlichen Europa und in den USA stieg der Bekanntheitsgrad über die Kreise gut informierter Sci-Fi Kenner und an Fanforschung interessierter Kulturwissenschaftler hinaus erst seit der in den 2000er Jahren gestarteten Neuauflage. Die Fans hielten den Diskurs um die Serie nicht nur über fünfzig Jahre lang lebendig, sie retteten als Amateurarchivare auch wesentliche Teile der Seriengeschichte. Nachdem in den frühen 1970er Jahren die BBC über hundert Schwarz-Weiß-Folgen der 1973 auf Farbe umgestellten Serie gelöscht hatte, rekonstruierten einige Fans zu den noch vorhandenen Standbildern den Verlauf der alten Folgen auf der Basis ihrer Audioaufzeichnungen. Die Ergebnisse dieser aus Leidenschaft verfolgten Archivarbeiten lassen sich unter anderem auf YouTube bewundern. Der Serienforscher John Tulloch stellte 1995 fest, dass Doctor Who aufgrund seiner Positionierung innerhalb der BBC schon immer an einer Schnittstelle zwischen Quality Edutainment und zeitbezogenem Entertainment angesiedelt gewesen sei. Entsprechend ging in den frühen Jahren die Zeitreise mit Bildungsanspruch häufig in die Vergangenheit der Erdengeschichte, mal ins antike Rom, mal zu den Azteken oder zu den Clans der schottischen Highlands. Während der erste Doctor, Will Hartnell, noch an einen mürrischen Geschichtslehrer erinnert, umgibt seine Nachfolger wie den in den 1970er Jahren aktiven Tom Baker, der sich bereits durch seinen überlangen bunten Schal einen festen Platz in den Annalen der BBC-Serie erspielt hat, die Aura fröhlicher Anarchie zwischen gut gelauntem Mad Scientist und trockenem Wortwitz. An den Drehbüchern beteiligten sich namhafte Vertreter der fantastischen Literatur, vom 2001 verstorbenen Sci-Fi-Satiriker Douglas Adams bis hin zu Urban-Fantasy-Multitalent Neil Gaiman.

Nach einer kreativen Pause von sechzehn Jahren wurde 2005 ein Relaunch realisiert, der im Unterschied zu den früheren Folgen auf eine elaborierte Hintergrundgeschichte setzt. Inzwischen zeichnet der für seine Sherlock-Variationen gefeierte Steven Moffat für die Serie verantwortlich. Seine Arbeit bildet einen guten Einstieg für Entdeckungsreisen ins Archiv, die verdeutlichen, dass sich Komplexität nicht alleine aus dem Konzept eines Showrunners ergibt, sondern ebenso aus den aktiven kulturellen Prozessen um eine Serie entstehen kann. 

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