Nahaufnahme von Anya Taylor-Joy

Frau aus Feuer und Eis
Anya Taylor-Joy in »The Northman« (2022). © Aidan Monaghan / 2021 Focus Features, LLC

Anya Taylor-Joy in »The Northman« (2022). © Aidan Monaghan / 2021 Focus Features, LLC

Mit dem Horrorfilm »The Witch« von Robert Eggers wurde sie bekannt, mit der Erfolgsserie »Das Damengambit« berühmt. Ihre ­besondere Fähigkeit besteht darin, extreme Gegensätze in ein und dieselbe ­Einstellung zu hieven. Jetzt ist Anya Taylor-Joy ­wieder in einem Eggers-Film zu sehen: »The Northman«

Ein Name wie geschaffen, ihn sich auf der Zunge zergehen zu lassen: Anya Taylor-Joy – mit drei(!) Ypsilon. Das hat nicht jede. Wenn einen also gerade mal wieder das Gedächtnis verlassen hat, könnte man hinweishalber sagen: »Da spielt die mit den drei Ypsilon im Namen mit«, und im Gegenüber würde es wissend aufleuchten. Ebensogut könnte die Fährte allerdings auch lauten: Da spielt die mit den Augen mit. Genau! Hervorstechendstes Merkmal nämlich in Anya Taylor-Joys Gesicht sind die vergleichsweise weit auseinanderliegenden Augen. Vergleichsweise im Sinne von: etwas außerhalb der Norm und daher auffällig. Und nicht nur liegen diese Augen weiter als gewohnt auseinander, sie wirken zudem ziemlich groß. Ja geradezu riesig. Vielleicht ja weil sie so weit auseinanderliegen.

Jedenfalls hat frau mit einem solchen Gesicht relativ gute Chancen, wahrgenommen zu werden, wenn ein Talentscout des Weges kommt. Zumal wenn sich zum hervorstechenden Merkmal dann auch noch ein wirkliches (Natur-)Talent gesellt – Taylor-Joy hat zwar eine Tanzausbildung genossen, aber nie eine Schauspielschule besucht. Da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn aus der Karriere nichts wird. Und tatsächlich, eines schönen Tages in London stachen Anya Taylor-Joys Augen in jene von Sarah Doukas – Gründerin einer Modelagentur und »Entdeckerin« von Kate Moss –, und wieder einmal hieß es: »School's out forever!«; dass sie extravagante Klamotten glamourös präsentieren kann, das beweist Taylor-Joy seither auf jedem roten Teppich.

»The Witch« (2015). © Universal Pictures

Recht konkret mit dem Teufel zu ging es 2015, als Taylor-Joy als Thomasin in Robert Eggers' Debütfilm »The Witch. A New-England Folktale« – bei uns »The Witch« – die Leinwand eroberte, wie es so schön heißt. Eggers beginnt seinen vielschichtigen Horrorfilm mit einer Frontalaufnahme ihres Gesichts, und es ist nicht zuletzt der diesem Gesicht augenbedingt immanente, staunende Ausdruck, der das Publikum hineinzieht ins Pilgerväter-Neuengland des Jahres 1630. Damals also, als der aufs Jenseits gerichtete christliche Glaube noch als Bollwerk gedacht wurde gegen die ziemlich diesseitig in Gestalt von Hexen und Dämonen konzipierte Wirkmacht des Versuchers.

Nur dass dieses Bollwerk hier versagt, weil neben dem Un- und Übernatürlichen noch das Kreatürliche wirkt: Eifersucht und Reue, Begehren und Verbitterung, Mutwillen und Neugierde treiben die Mitglieder der kleinen Familie um, die am Rand des Waldes vom Unheil heimgesucht wird; Psychologie macht Metaphysik die Hölle heiß, Metaphysik macht sich Psychologie zum Verderben aller zunutze. Ein Kräftemessen, das sich in Thomasin verdichtet und konzentriert zuträgt und das Taylor-Joy sichtbar macht in der nuanciert vollzogenen Verwandlung vom heranwachsenden gottesfürchtigen Mädchen zur mit verzweifelter und brutaler Gewalt sich befreiende Jungfrau.

Es ist ein fulminantes Debüt, auch für Eggers, es legt die Latte ziemlich hoch, und bislang hat sie noch keiner der beiden gerissen. Wenngleich natürlich nicht jede Figur, der Taylor-Joy seither Statur und Innenleben gegeben hat, mit vergleichbarer charakterlicher Komplexität aufwarten kann. Aber doch die meisten, weswegen man auf das Wikinger-Racheepos »The Northman« – es ist nach »The Lighthouse« (2019) Eggers' dritter Film, mit Taylor-Joy als »Olga of the Birch Forest« – getrost gespannt sein darf.

Geboren wurde Anya-Josephine Marie Taylor-Joy – so der ziemlich royal tönende komplette Name – als jüngstes von sechs Kindern am 16. April 1996. Ihre familiären Wurzeln sind von beeindruckender Vielfalt: Der Vater ist Argentinier englisch-schottischer Abstammung, die Mutter wurde als Kind einer Spanierin und eines Engländers in Sambia, Afrika, geboren. Anya wuchs zunächst in Buenos Aires auf, doch als sie sechs war, übersiedelte die Familie nach London; sie besitzt die argentinische, die britische und die amerikanische Staatsbürgerschaft; letztere verdankt sich dem Zufall, dass sie während eines Urlaubs ihrer Eltern in Miami, Florida, zur Welt kam. Die eigenwillige Physiognomie, die ihren Erfolg begründete, bereitete Anya während des Heranwachsens viel Kummer. Von ihren Mitschüler*innen sei sie oft verspottet worden, erzählte sie in Interviews, und dass sie das Gefühl der Ausgrenzung gut kennengelernt habe.

Die Aura der Außenseiterin, die in Gesellschaft schnell in die Anmutung von Arroganz umschlagen kann, umgibt denn auch viele von Taylor-Joys Figuren. Gesellige, fröhlich-unbeschwerte Girlies, die harmlos mit den Jungs rummachen, sucht man in ihrer Filmografie weitgehend vergebens; ihre schauspielerische Präsenz passt einfach viel zu gut in die eher fantasiebasierten Genres – Horror, Kostüm & Historie, Science-Fiction/Fantasy/Thriller –, um sie in harmlosen Coming-of-Age-Dramödchen, Teenie-Flicks oder Date-Movies zu versenden.

Auf »The Witch« folgte 2016 »Morgan« von Luke Scott, ein nicht sonderlich bemerkenswerter Science-Fiction-Film, der eine klassische »Die Geister, die ich rief«-Geschichte erzählt, an deren meilenweit vorauszusehendem Ende die meisten tot am Boden liegen. Sehenswert aber ist, wie Taylor-Joy in der Titelrolle einer fünfjährigen Androidin, die ihren Schöpfern mächtig Kummer bereitet, weiter an der Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen feilt, das ihre Leinwandpersona auszeichnet. Highlight dieser schauspielerischen Fingerübung ist Morgans Duell mit einem von Paul Giamatti dargestellten Psychologen, der eine Risikoeinschätzung vornehmen soll und sich dabei, eh klar, selbst überschätzt. Routiniert-professionelle Grausamkeit trifft auf Informations- respektive Reizüberflutung, gefolgt von Shutdown und Gewaltexzess. Interessant ist die Szene vor allem, weil Taylor-Joy Morgans Irritation über das, was in ihr vorgeht, mitspielt und ihrer Figur so jene flirrende Unschärfe verleiht, die letztlich für das mörderische Maschinenkind einnimmt.

Ein vergleichbar ungefestigtes Zwischenwesen in einem vergleichbar unbefriedigenden Film ist Illyana Rasputin in Josh Boones im Dunstkreis des »X-Men«-Franchise angesiedeltem »The New Mutants« (2020). Illyana ist eine Halbstarke, deren seelische Qualen hinter einer großen Klappe und einer kurzen Lunte Schutz suchen und deren latente Feindseligkeit jederzeit in offene Aggression umschlagen kann; dann verwandelt sich ihr Arm in ein Schwert und ihr Plüschtier in einen feuerspeienden Drachen, und den Bösen vergeht das Lachen. Auch wenn die deutlich kostengünstig hergestellte Chose ansonsten ziemlich kalt lässt, so doch nicht Illyanas Kampf mit dem Trauma, das an Superheldenkräfte geknüpft sein kann. Eine Überlegung, der auch M. Night Shyamalan in »Split« (2016) und »Glass« (2019) nachgeht, in denen Taylor-Joy als Missbrauchsopfer ­Casey an der Seite des glänzend aufspielenden James McAvoy im schlau geführten Kampf gegen dessen Serienmörder mit monströs-multipler Persönlichkeit dem ­final girl zum Triumph verhilft.

Apropos Triumph: Einen internationalen ebensolchen feiert Taylor-Joy 2020 in der Netflix-Miniserie »Das Damengambit«. Schachspielerin Beth Harmon ist kompliziert wie das Spiel, das sie meistert, kalt analytisch und leidenschaftlich kopflos, cool und drogenabhängig, versoffen und undurchschaubar, einsam und diffus sehnsüchtig; eine Figur mit ordentlich Fleisch auf den Rippen, metaphorisch gesprochen, und Taylor-Joy lässt sie mit passendem Appetit in all ihren Facetten lebendig werden.

Ihr komisches Talent hingegen, über das sie durchaus auch verfügt, kam bisher eher selten zur Geltung. Doch man sieht es aufblitzen in »Emma« (2020), Autumn de Wildes Adaption des 1816 erschienenen Romans von Jane Austen. Bei der Gestaltung der Titelfigur kommen Taylor-Joy ihre naturgegebenen Ecken und Kanten sehr zupass; ihre Emma ist selbstgewiss, verspielt und herrisch, mal aufgeblasen und abgehoben, dann wieder bodenständig und pragmatisch. Und immer ist sie dabei irritierend liebenswert. Es ist ein kämpferisch-lebendiger und durchaus sperriger Gegenentwurf zu jener süßlichen Gestaltung Gwyneth Paltrows seinerzeit in Douglas McGraths »Emma« (1996), falls sich an die noch jemand erinnert.

Ohnehin hat Anya Taylor-Joy mit Geschlechterklischees nichts am Hut; vielmehr nur insofern sie sie unterminiert, torpediert und sprengt. Sie ist die Frau für die komplizierten Fälle. Sie kann Feuer in Eis auflodern lassen, kindlich und unschuldig wirken und zugleich berechnend abgeklärt sein, sie ist total kontrolliert und vollkommen enthemmt, sie zeigt Stärke und Schwäche oder lässt sich nichts anmerken. Auf der Leinwand ist sie das Rätsel, im Rampenlicht ist sie der Star, sie ist die mit den drei Ypsilon und den Augen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt