Kritik zu Der Leuchtturm

© Universal Pictures

2019
Original-Titel: 
The Lighthouse
Filmstart in Deutschland: 
28.11.2019
L: 
99 Min
FSK: 
16

Unheimlich oder unheimlich komisch? In Robert Eggersʼ neuem Film nach »The Witch« (2015) treiben sich Willem Dafoe und Robert Pattinson als Leuchtturmwärter gegenseitig in den Wahnsinn. Und Eggers zeigt erneut stilistisch großen Eigenwillen

Bewertung: 4
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Der vielleicht erhellendste Satz in Robert Eggers' rätselhaftem neuem Film »Der Leuchtturm« fällt kurz vor Schluss: »Du bist die Parodie eines Seemanns!«, brüllt da der wütende Leuchtturmwärter-Gehilfe Ephraim (Robert Pattinson) seinen Boss Tom (Willem Dafoe) an, einen brummigen Seebär wie aus Stevensons »Schatzinsel«. Der Satz bringt auf den Punkt, was man als Zuschauer längst ahnte, sich aber nicht recht eingestehen mochte: »Der Leuchtturm« ist weniger ein Gänsehaut erzeugender Spuk als vielmehr eine Farce, ein finster-ironisches Spiel mit vertrauten Motiven, voller Lust am schaurigen Nonsense.

Anders gesagt: Einen Horrorfilm wie Eggers' Langfilmdebüt »The Witch« (2015) sollte man nicht erwarten. Dabei knüpft er in vielerlei Hinsicht an dieses Werk an. In »The Witch« ging es um eine Familie im Neuengland des 17. Jahrhunderts, die in völliger Isolation lebend allmählich dem Wahnsinn (oder einer Hexe?) zum Opfer fällt. »Der Leuchtturm« spielt im Neuengland des 19. Jahrhunderts und erzählt von zwei Leuchtturmwärtern, die isoliert auf einer kleinen Felseninsel Dienst tun. Und zumindest einer von ihnen fällt allmählich dem Wahnsinn (oder Geistern?) zum Opfer. Während der bärbeißige Tom sich mit derben Geschichten und billigem Rum die Zeit verkürzt, scheint seinem neuen Gehilfen Ephraim die Einsamkeit nicht zu bekommen. Er hat bizarre Visionen, beobachtet Tom beim Masturbieren (mit einer Riesenkrake) und entwickelt eine Obsession für das Leuchtfeuer.

Was auch immer man aus diesen Geschehnissen lesen mag, ist »Der Leuchtturm« allein schon seiner Formsprache wegen bemerkenswert. Eggers arbeitete als Szenenbildner, bevor er Filmemacher wurde, und wie bereits »The Witch« zeichnet »Der Leuchtturm« sich durch eine geradezu obsessive Aufmerksamkeit für zeitgenössische Details aus. Sei es die Architektur, das Mobiliar, die Kleidung oder die historische Sprache, für die Eggers auf Schriften Herman Melvilles sowie auf Logbücher echter Leuchtturmwärter zurückgriff – alles wirkt auf ungekünstelte Weise authentisch. Auch sonst ist »Der Leuchtturm« ein außergewöhnliches Stück altmodischen Filmhandwerks, mit im wahrsten Wortsinn »wundervollen« Schwarz-Weiß-Bildern, aufgenommen in einem fast quadratischen Seitenverhältnis, das an die Zeiten des Stumm- und frühen Tonfilms erinnert – Murnau und Lang bilden deutliche Bezugspunkte. Tatsächlich benutzte Kameramann Jarin Blaschke Linsen aus diesen Jahren, wodurch die Bilder eine ganz eigene Textur bekommen. Auf eigentümliche Weise wird durch diese sanfte Stilisierung die immersive Wirkung noch verstärkt.

Doch so atmosphärisch das alles ist – gruselig ist es nicht. Dafür gelingt Eggers ein viel bemerkenswerterer Balanceakt: Sein Film ist einerseits ein ungeheuer dichtes, grandios gespieltes Charakterstück, inspiriert von Tarkowski, Bergman und Kubrick; andererseits führt er deren Ernsthaftigkeit ad absurdum, mit einer Anhäufung symbolträchtiger Geschehnisse, die letztlich keinen Sinn ergeben müssen – und mit Humor gebrochen werden. Wenn etwa beim Weißeln der Fassade Ephraims Haltestricke reißen und er der Länge nach auf den steinigen Boden kracht, erinnert das an den fiesen Slapstick der Looney Tunes; und wenn er die randvollen Nachttöpfe wie ein Tölpel gegen den Wind ausschüttet und die geballte Ladung ins Gesicht bekommt, ist das mehr Stan Laurel als Jack Torrance. Kann man es da noch ernst nehmen, wenn der arme Kerl von wildem Sex mit einer Meerjungfrau träumt? Selbst die Streitigkeiten zwischen Tom und Ephraim gleichen aberwitzigen Litaneien aus derben Beleidigungen.

Am Ende muss man hier einen besonders schweren Fall von Lagerkoller konstatieren, in einer Männer-WG, deren Bewohner sich zwischen achtlosen Fürzen und haltlosen Besäufnissen an die Gurgel gehen. So gesehen ist »Der Leuchtturm« doch irgendwie ein Horrorfilm, auf unheimliche Weise amüsant, aber niemals lächerlich, ein wahnwitziger Rausch aus Fusel, Sturmflut und Testosteron.

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