Große ernste Töne

Die Musik in den Filmen der Coens
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In ihrem neuen Film Inside Llewyn Davis erzählen Joel und Ethan Coen die Geschichte eines Folksängers - voll Sympathie für die Szene. Überhaupt ist das Coen-Werk eine einzige Klang- und Pop-Explosion. Ulrich Sonnenschein hat sich in diesem Universum umgehört.

Mit zwei, drei hastigen Tönen beginnt Inside Llewyn Davis, der jüngste Film von Joel und Ethan Coen. Eine Gitarre wird gestimmt in einem New Yorker Keller, wie es in den sechziger Jahren viele gab – »Gaslight« heißt die Bar im Film. Der Musiker ist unbekannt, doch strahlt er die Routiniertheit eines alten Barden aus, lässig die Zigarette im Mundwinkel. Nach ihm wird Bob Dylan auftreten, ebenso jung und ebenso unbekannt, doch das wissen an dieser Stelle weder das Publikum noch Llewyn Davis selbst. Denn die Musik, die beide verbinden könnte, trennt sie. Sie sind Rivalen im Spiel um Ruhm und Akzeptanz. Das Schicksal entscheidet, wen es trifft. »If it’s never old and never new, it’s a folksong«, wird Llewyn Davis wenige Minuten später sagen, eher in melancholischer Frustration als aus Selbstironie, und  er leitet damit die Geschichte eines Losers ein. Die Songs transportieren genau das. Die lyrische Klage in alkoholisierter Wehmut: »The Roving Gambler«, »Green Green Rocky Road« oder das inzwischen klassische »Five Hundred Miles«. Die Bewegung, die Sehnsucht, das niemals Sichere und natürlich die meist unerfüllte Liebe bilden den Rahmen der Musik von Inside Llewyn Davis. Der Musiker, Produzent und Oscar-Preisträger T Bone Burnett (Unterwegs nach Cold Mountain, Crazy Heart) hat sie zum Teil neu arrangiert, mit interessanten Partnern wie Marcus ­Mumford, dem Kopf der Londoner Folkband Mumford & Sons, die mit eben jener Musik, die niemals neu und niemals alt ist, von Festival zu Festival gereicht wurde und mit »Little Lion Man« einen Welthit hatte.
 
Justin Timberlake, der im Film einen etwas traditionelleren, sanft-lieblichen Folksänger namens Jim spielt, hat bei dem Stück, mit dem er auftritt, »Please Mr. Kennedy«, natürlich selbst Hand angelegt. Und das ist einer der Höhepunkte des Films. Nicht nur dass die sinnfreie Textzeile »Please Mr. Kennedy, don’t you shoot me into outer space« ad infinitum wiederholt wird, Timberlakes braver Gesang wird von Adam Driver durch animalisch-rhythmisierte Einwürfe konterkariert. Zwischen der introvertiert-traurigen Gitarrenmusik von Llewyn und dem stolzen, biederen Jim entsteht in »Please Mr. Kennedy« eine nicht unironische Verbindung, die beide Positionen gelten lässt. Hier wird deutlich, was die Coens nicht müde werden zu betonen: Inside ­Llewyn Davis ist kein Film, der sich über die Folkszene lustig machen will. 
 
T Bone Burnett zeichnet zwar für die Arrangements und den Score, interpretiert allerdings wird die Musik von den Schauspielern selbst. Insofern ist ein realistisches Porträt entstanden, ein Film, der mit der Musik umgeht und sie nicht bloß als Hintergrund benutzt. Irgendwann fährt Llewyn nach Chicago, um sich dort bei Albert Grossman, dem Impresario der Folkszene und späteren Manager von Bob Dylan, vorzustellen. Dieser bietet ihm zwar keinen Plattenvertrag an, schlägt ihm aber vor, Teil eines Gesangstrios zu werden, das unschwer als Peter, Paul and Mary zu erkennen ist. Llewyn lehnt ab, nach dem Selbstmord seines Gesangspartners ist die Zeit für ein Trio für ihn vorbei. Ohnehin ist es in Chicago viel zu kalt. Mit keinem Ton erklingen Peter, Paul and Mary hier, und selbst Bob Dylan hat nur wenige Sekunden. Die Folkmusik, die die Coens verwenden, ist mit wenigen Ausnahmen die der zweiten Reihe – eine Szene, die so unbestimmbar wie vielfältig war und sich vor allem durch einen radikalen Individualismus auszeichnete. Das »On the Road« der Beatniks und das Sofa des besten Freundes gehörten ebenso zu diesen Pionieren des neuen Folksongs wie Nikotin, Alkohol und erste weiche Drogen. So ist Inside ­Llewyn Davis das stimmige Porträt einer ganzen Generation von Musikern, die sich aufmachten, in den alten Liedern Amerikas neues Heil zu finden, einer Bewegung, die bis heute fortlebt, in ähnlicher Melancholie, aber mit einer selbstbewussten Ironie, die eben auch im Film der Coens eine wichtige Rolle spielt.  
 
Inside Llewyn Davis ist die dritte Zusammenarbeit der Coens mit T Bone Burnett. Zum ersten Mal trafen sie sich für O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee aus dem Jahr 2000, einem Film, der antike Mythen, die Bibel, amerikanische Kulturgeschichte und den absurden Erfolg der Country-Musik feiert. Odysseus und der Ku-Klux-Klan finden sich neben den »Soggy Bottom Boys« wieder, den »Jungs mit den nassen Hosenböden«. Auch in diesem Film dient die Musik nicht nur der Untermalung. Da sind die Worksongs der Sträflinge zu Beginn, dann treffen unsere flüchtigen Helden auf Tommy Johnson, einen der Vorreiter des Delta Blues, noch vor Robert Johnson, und treten schließlich selbst als »Soggy Bottom Boys« bei einer Wahlkampfveranstaltung auf. So wird die Musik immer wieder Teil der Handlung. Wenn man so will, ist O Brother, Where Art Thou? ein Vorläufer von Inside Llewyn Davis, indem er zu den Ursprüngen der Folkmusik im ländlichen Süden der USA zurückgeht, zu der Musik der 1930er Jahre, zu Blues, Bluegrass und der frühen Country-Musik.  Den Hit aus diesem Film, das oft gehörte und zitierte  »I Am a Man of Constant Sorrow« von Dick Burnett (als dessen entfernter Verwandter sich T Bone Burnett gern imaginierte), singt Hauptdarsteller George Clooney übrigens nicht selbst; die Gesangsstimme lieh ihm Dan Tyminski, ein Mitglied der Band Union Station. Der Soundtrack von T Bone Burnett verkaufte sich mehr als fünf Millionen Mal und wurde mit drei Grammys ausgezeichnet. 
 
Für Ladykillers von 2004 lieferte T Bone Burnett einige Songs zu, vor allem das Traditional »Trouble in, Trouble Out«. In diesem Remake des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1955, in dem eine vorgetäuschte Bandprobe einem Einbrecherteam dazu dient, sich in einen Tresorraum zu graben, ist die Musik insofern bedeutend, als sie die Verschiebung der Handlung trägt. Aus dem London der Nachkriegszeit verlegen die Coens die Geschichte in den amerikanischen Süden. Doch hier wie dort kommt die Musik vom Tonband. Für die vorgetäuschte Probe wird zu Anfang das »Menuett« von Boccherini verwendet, ein reines Streichquintett. Die Instrumente sind neben einer traditionellen Geige eher exotisch: eine Theorbe, eine Posaune, ein Parforcehorn sowie eine dreihalsige Gitarre, die zwischen den Knien stehend wie ein Cello gehalten wird. Auch hier liegt die Ironie der Coens ebenso im inszenierten Detail wie im musikalischen Arrangement. 
 
Der Hauskomponist der Coens aber ist Carter Burwell. Seit ihrem Debüt, seit Blood Simple von 1984, hat er bei fast allen ihren Filmen Stücke zugeliefert oder gleich für das ganze Score verantwortlich gezeichnet. Vor allem in den frühen Filmen, in Millers Crossing, Barton Fink oder Fargo, in denen die Musik für eine gewisse irreale Atmosphäre sorgte, sind es seine Stücke, die – zum Beispiel – eine flirrende Schneelandschaft zum Ort dunkler Verbrechen machen konnte. Aus dem klassischen Film noir wurde in Fargo so ein einzigartiger Film blanc. Aber auch in den Coen-Filmen, die sich durch einen bunten Soundtrack auszeichnen, die unterschiedliche Stücke benutzen, um den jeweiligen Helden zu bestimmen oder mit absurdem Humor auf die Popgeschichte zu reagieren, hatte Burwell seine Hände im Spiel. Neben Burn after Reading, True Grit und No Country for Old Men wird das vor allem in zwei Filmen auffällig: in The Big Lebowski und in der herausragenden Ironisierung der jüdisch-amerikanischen Mentalität, A Serious Man. An zentraler Stelle in diesem Film, wenn Larry Gopnik Zuspruch bei seinem Rabbi sucht, zitiert dieser den größten Hit der amerikanischen West-Coast-Band Jefferson Airplane: »When the truth is found to be lies, and all the joy within you dies, you better find somebody to love«. Langsam gesprochen, in einem dunk­len, durch ein diffuses Gegenlicht beleuchteten Raum, wirken diese Zeilen wie eine magische Formel, die dem Helden in seiner fortschreitenden Misere gerade recht kommen. Die Liebe ist ihm allerdings abhanden gekommen. Jefferson Airplane, deren Sängerin Grace Slick für ihre Drogenexzesse bekannt war, liefern dem Soundtrack drei Stücke zu. In diesem Film, in dem nichts ist, wie es scheint, in dem kabbalistische Mystik und profane Alltagsereignisse eine merkwürdige Fusion eingehen, einzig um Larry Gopnik zu demontieren, erscheint die Popmusik der 60er Jahre nicht als erste Wahl. Und doch sind die psychedelische Ebene, die Popindustrie, die daraus entwuchs, und der kurze Aufbruch der Hippies mit seinem abrupten Ende in der Welt des Kommerzes hier eine wunderbare Basis für jahrtausendealte Probleme. Damit können die Coens ihre eigene jüdische Geschichte in der Gegenwart des späten  20. Jahrhunderts verorten und eine Anspielungs­ebene über die andere blenden. Selten ist Popmusik in einem Film so stimmig und so kontrapunktisch zugleich eingesetzt worden. Das melancholische Stück »Comin’ Back to Me« beschreibt die flirrende Atmosphäre im Film wie kein zweites: »The summer had inhaled and held its breath too long. The winter looked the same, as if it never had gone. And through an open window, where no curtain hung, I saw you, comin’ back to me«.
 
Ganz anders funktioniert die Musik in The Big Lebowski. Der Film spielt Anfang der 1990er Jahre in Los Angeles. Alt-Hippie Jeffrey Lebowski, der sich selbst nur The Dude nennt, entspannt sich mit regelmäßigen Bowlingrunden, Walgesängen, White Russians und Joints in der Badewanne. Bis er in quasikriminelle Kreise hineingezogen wird, die weder er noch sonst irgendjemand komplett durchschaut. Die Musik wirkt dabei zugleich ironisch und illustrativ. Da gibt es zum einen den grandiosen Auftritt von John Turturro, einem alten Lieblingsdarsteller der Coens, als Latino-Bowling-Legende Jesus Quintana, der sechs Monate wegen Exhibitionismus  im Gefängnis saß. Dazu läuft eine Coverversion des EaglesHits »Hotel California« von den Gipsy Kings – zur Kenntlichkeit verfremdet. Was das mit dem Dude macht, erfahren wir erst später, wenn er aus einem Taxi geworfen wird und brüllt: »I hate the fuckin’ Eagles, man!«
 
Zum anderen gibt es eine Szene, die sich über die musikalisch-klangliche Ebene erhebt und maliziös witzig auf eine deutsche Band rekurriert: Die Techno-Pop-Platte »Nagelbett« von der fiktiven deutschen Band Autobahn, bestehend aus schrägen Schlägertypen, die sich selbst »Die Nihilisten« nennen, ist eine Anspielung auf die deutsche Band Kraftwerk. Ihr Titel »Autobahn« war, wenn es den überhaupt gab, ihr größter Hit, von dem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1974. Der internationale Erfolg der Band beruht auf diesem Stück.  Das Plattencover übrigens, das im Film gezeigt wird und das leicht faschistische Outfit der Nihilisten unterstreicht, ist an das ­Cover des Albums »Die Mensch-Maschine« von 1978 angelehnt. An der Produktion von The Big Lebowski wirkte übrigens T Bone Burnett als Musikarchivar mit. Er überlieferte eine schöne Anekdote. Jeder, der schon mal Musik der Rolling Stones für einen Film verwenden wollte, weiß, wie schwierig das ist. Im Abspann von Lebowski läuft das Stück »Dead Flowers«, allerdings in einer Coverversion von Townes Van Zandt. Der frühere Stones-Manager Allen Klein hält die Rechte an dem Song und wollte 150 000 Dollar für die Verwendung im Film. T Bone Burnett aber rettete das Budget. Er lud Klein ein, sich den Rohschnitt des Films anzuschauen. »Dann«, erzählt Burnett, »kam die Stelle, wo der Dude sagt: ›I hate the fuckin’ Eagles, man!‹«. Da sei Klein aufgestanden und habe gesagt: »Das ist es, du kannst den Song haben.«

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