B-Action: Wie kommen sie da wieder raus

Gerard Butler und Mike Colter in »Plane« (2023). © Leonine Distribution

Gerard Butler und Mike Colter in »Plane« (2023). © Leonine Distribution

Ein Einfall muss reichen, dann wird es gefährlich. Zombies in der Bahn. Sprengstoff auf dem Laster.­ Oder Gerard Butler auf einer Insel, jetzt im Kino. Georg Seeßlen über die Liebe zum schnellen, schnörkellosen, allseits reduzierten Actionfilm

Nicht nur im Kino, aber da besonders gut, kann man sich in Feldern bewegen, in denen sich das scheinbar extrem Vereinfachte mit dem Hochkomplizierten, das Dramatischste mit dem Alltäglichen oder die große Kunst mit den cheap thrills der ästhetischen Exploitation verbinden. In einem solchen Feld ist das Kino ganz bei sich, befreit es sich von Literatur, Malerei, Theater. Es bewegt sich in einem radikalen Hier und Jetzt. Was gesehen wird, ist das Gezeigte, kein Dahinter, Darüber oder Darunter, dies aber in einer solchen Verdichtung, dass sich eine innere Spannung aufbaut. Nicht was ist bedeutet Wahrheit, sondern was geschieht. Körper und Objekte vor allem. Und ein unmögliches »Jetzt« als Erzählzeit.

Arbeiter verlassen ihre Fabrik, ein Zug fährt in einen Bahnhof ein, ein Mann und eine Frau küssen sich auf einer Parkbank. Drei legendäre Szenen des frühesten Films: Etwas wird in Bewegung gesetzt – auf gewisse Ziele hin, vielleicht. Die Leerung der Fabrik, der Halt auf dem Bahnhof, die Grenze der Schicklichkeit. Dass all dies ein gutes Ende nimmt, ist nicht ausgemacht. Denn Bewegung bedeutet immer beides: Lust und Gefahr. Die Künste haben stets versucht, diese Beziehung »festzuhalten«. Das Kino aber konnte sie freisetzen.

In der Folgezeit wurde dem Kino immer mehr aufgebürdet. Es musste literarisch, psychologisch, soziologisch, fantastisch, malerisch, moralisch, politisch oder poetisch werden. Dabei entfernte es sich immer weiter von diesem Ursprung, Bild der Bewegung und Bewegung des Bildes zu sein. Es erinnerte sich nur mehr in einzelnen Elementen daran, in den Slapstick-Schlachten, in den wilden Verfolgungsritten des frühen Western, in den Liebesgeschichten zwischen Filmkameras und Bewegungsmitteln, Kutschen, Autos, Zügen, Flugzeugen, in der Neugier auf Tierbewegungen und schließlich in den Schreckensbildern des Krieges. 

Paradox genug: Je mehr sich das Kino auf seine ursprüngliche Kraft besinnt, desto mehr wird es in Bereiche des Minderwertigen und Unzulänglichen verbannt. Das bürgerliche Publikum und seine Kritikergilde verlangten vom Kino stets mehr als seine ursprüngliche Reinheit; sie drängten ihm Bedeutung, Vielfalt und eben »Unreinheit« förmlich auf. Man unterhielt sich nicht darüber, was das Kino war, sondern darüber, was es uns zu sagen hatte. Das geht kulturgeschichtlich betrachtet völlig in Ordnung. Und doch steckt vielleicht in einer jeden Liebe zum Kino auch die Sehnsucht nach dem cineastischen Augenblick, in dem Film nichts anderes sein will als Film. Bild der Bewegung, Bewegung des Bildes, Aktion und Reaktion, die Definition von Raum und Zeit durch Körper und Blick, die Fähigkeit, beim Sehen selbst Teil der Bewegung zu sein.

Die Elemente eines »reinen« Kinos haben sich in drei Bereiche zurückgezogen, die man sich unterschiedlicher nicht denken kann: ins »kindische« Kino, den Actionfilm der Serie B und die Verliese des Experimental- und Konzeptkunstfilms. 

Diesem reinen Kino der körperlichen Aktion könnte man sich auf drei Arten nähern, die man sich, weil die Filmkritik sich solcher Begrifflichkeit enthalten hat, aus anderen Kunstbereichen borgen muss: als Cinema ­concrète, als Minimal Film oder als Film brut. Das »Konkrete«, wie wir es aus der Musik oder der Poesie kennen, bezieht sich auf das Aufscheinen des Materials, Sprache, Klang, Farbe, das selbst zum Thema gemacht wird, auf die Einbeziehung gefundener und alltäglicher Elemente, auf den Impuls, ganz und gar gegenwärtig zu sein. Man mag sich an ein Wort von Rainer Werner Fassbinder erinnern: dass man nicht fragen solle, worüber man Filme macht, sondern mit was. Also mit Licht, mit Körpern, mit Bewegung und Sprache zum Beispiel. 

Für die Minimal Art ist die »schematische Klarheit« entscheidend, und es gibt gewisse primary structures; in der Kunst sind das geometrische Grundformen, in der Musik fundamentale Klangfolgen. Der »Primitivist« Dawid ­Burljuk sah in den Werken ein »Minimum an eingesetzten Mitteln« und »die Reduktion auf die letzte, logische Zielsetzung der Bildgestaltung«. Statt also um ein ständiges Anreichern geht es um die Rückkehr zum Wesentlichen der Form. Das »Minimum der eingesetzten Mittel« bezieht sich nur einerseits auf Technik und Organisation, andererseits aber auf die (filmische) Repräsentation. Der Rhythmus, die Farb- und Lichtpalette, Schauspiel, Dialog, Montage – all das wird reduziert, um an den Ursprung des Bewegungsbildes zu gelangen. Eine ästhetische Technik dabei besteht darin, dass eine klare Gegensatzkonstruktion eingesetzt wird und das Grundmaterial beständig sichtbar bleibt: Stillstand/Dynamik, Enge/Weite, Nähe/Ferne etc. Die Serialität ist ein weiterer Bestandteil von Minimal Art. Die Minimal Music kennt ebenfalls die primären Strukturen, die repetitiv genutzt werden und sich einer Art des musikalischen Zustandes annähern. 

Der reine Film ist also das Gegenteil einer Abstraktion oder Codierung. Der Vertrag zwischen dem Film und seinen Adressaten lautet auf vollkommene Luzidität; das Konzept ist der Schlüssel, aber auch dieses Konzept ist auf Wesentliches reduziert.

»Mad Max: Fury Road« (2015). © Warner Bros. Pictures

Dieses Kino duldet keine Ablenkung, und darin unterscheidet es sich vom Slow Cinema und noch mehr vom Kino der fetischistischen Retardierung – Horrorfilme, Torture Porn oder Sexfilme, die, fasziniert von ihrem Gegenstand (dem Fleisch), in einen Echtzeitmodus schalten oder sogar die Zeit dehnen. Was auch für die Ästhetisierung von Gewalt gilt, die Zeitlupe bei Peckinpah, die Explosionsräusche im Actionfilm, die ihre Katastrophen derart lieben, dass sie sie in Bilderschleifen auflösen, oder für den Geschwindigkeits-Tic à la »Fast and Furious«: indem sie das Prinzip der Bewegung verraten, verraten sie den Menschen als Körper. Das führt zu einer anderen Form der »Reinheit«. Und auch hier begegnen einander Kunst und Trash, sagen wir in den Gewaltszenen von Takashi Miike, die sich der klassischen Kontextualisierung verweigern. Auf einmal bedeutet ein physisches Geschehen nichts als es selbst. Im Bedeutungsrahmen, den wir dem Film verpasst haben, ist das nicht weniger als ein Skandal. 

Wenn wir das reine Bewegungsbild noch einmal verengen, bietet sich die Analogie zur Art brut an, der »rohen Kunst«, die sich bewusst gegen die Regeln und Reflexionen akademischer Disziplin wendet. Es geht, ganz buchstäblich, um das »Unverbildete«, aber auch darum, dass ein Bild sich nicht durch den Bezug auf andere Bilder, sondern nur durch den Bezug auf eine physische und sinnliche Erfahrung definiert. Was in einer cineastischen Art-brut-Situation geschieht, ist also weder im Diskurs des »psychologischen Realismus« noch in der Mythologie eines Genres aufgehoben. Es ist nicht Zitat, nicht Metapher, nicht manieristische Variation. Die primary structures beziehen sich auf körperliche und soziale Erfahrungen, die nicht weiter zerlegt oder erklärt werden können und die so dargestellt werden, als würden sie eben gerade erlebt. Roh.

Cinema concrète, Minimal Film oder cineastische Art brut, all das wäre in einer dramatischen Ausschließlichkeit wohl kaum auszuhalten – wie Andy Warhols frühe Filme, die man als radikale Gesten (ein Mann schläft, ein Hochhaus und sonst nichts) verstehen, aber gewiss nicht im klassischen Sinne »anschauen« kann. Das reine Kino ist also eher ein Zustand der Annäherung, ein Stadium, das erreicht und wieder verlassen werden kann, eine Episode im endlosen Fluss der Bilder. Eine Erfahrung, ein Genuss, eine Bedrohung. Manchmal wird eine solche Reduktion zum Konkreten, Minimalen und Rohen bewusst angestrebt, manchmal passiert es aber auch einfach aus Versehen. 

Das reine Bewegungskino ist weniger damit beschäftigt, eine Story zu erzählen oder einen Charakter zu entwickeln, als damit, eine existenzielle Situation durchzuspielen. Genauer gesagt handelt es sich um eine Situation existenzieller Gefahr. In einem Vorspiel wird eine solche Situation etabliert, und in einem Nachspiel wird sie beendet. Im Hauptteil aber gibt es kaum Abschweifungen, Überhöhungen oder Erläuterungen. Die Situation (aus Antrieb, Retardierung, Gewalt und Bedrohung) ist total, das heißt auch, sie nimmt alle Sinne, alle Identifikationen, alle Anstrengung in Anspruch. Diese Situation ist durch fundamentale Reduktionen bestimmt: Reduktion des Raumes, Reduktion der Zeit, Reduktion der handelnden Figuren. Das alles bedeutet auch eine Reduktion des Wahrgenommenen und damit eine Konzentration der Wahrnehmung.

Etlichen auf diese Weise reduzierten Spannungsfilmen hat man das Etikett des No-Brainers angeheftet, was wir höflich dahingehend übersetzen, dass der kritische und reflexive Verstand eher weniger aktiviert wird, stattdessen werden primäre Impulse wie Flucht oder Aggression, Egoismus oder Solidarität, Triumph oder Verzweiflung angesprochen. (Von den vielen Filmen, bei denen Reduktionen nicht als cineastische Entscheidungen, sondern aus technischen oder handwerklichen Defiziten entstehen und die dann die entstehenden Lücken mit hilflosem oder ironischem – eben: hirnlosem – Blödsinn füllen, wollen wie hier nicht reden: Natürlich gibt es nicht nur misslungene Reduktion, sondern auch eine Reduktion des Misslingens, der wir eine sehr spezifische Kinoliebe zu Trash und »schlechten Filmen« verdanken.) Tatsächlich hat der No-Brainer noch eine andere begriffsgeschichtliche Bedeutung: Er beschrieb ursprünglich Situationen, in denen es keinen Spielraum für Überlegung, Diskussion und Entscheidung gibt.

Die Situation spitzt sich zu, so fängt das an. Man hat schon zu Beginn wenig Optionen, und es werden noch weniger. Das Existenzielle der Situation entsteht dadurch, dass sie in der einen oder anderen Art vom Rest der Welt isoliert ist und damit zugleich die ganze Welt meint. In den Meisterwerken des reduzierten Bewegungsbildes steckt die existenzialistische Sackgasse: »Der Mensch ist seine Existenz.« Es mag Erklärungen für die Situation geben, doch sie nützen herzlich wenig. Es mag Hoffnung auf Hilfe von außen geben, doch sie bleibt aus oder scheitert. Es mag Professionalismus geben, doch am Ende bleibt nur die Tat. Es mag Werkzeuge geben, dennoch werden die Protagonisten – oft ganz buchstäblich – immer nackter. Es geht also um den Menschen, der auf sich selbst zurückgeworfen ist. Was es abzuwerfen gilt, ist ein Stück der Zivilisationsgeschichte. Man muss nicht nur ohne die Hilfe der Gesellschaft, sondern auch ohne die Hilfe der Götter auskommen. Dies ist die Zuspitzung schließlich: Der Mensch ist seine Existenz. Und nichts anderes.

»Train to Busan« (2016). © Splendid Film

Die existenzialistische Grundsituation wird im reduzierten Bewegungsbild nicht durch Worte, nicht durch Dekors und Illustration ausgedrückt, sondern durch die primären Strukturen von Raum, Zeit und Subjekt. Von allem gibt es so lange immer weniger, bis es von allen kulturellen und zivilisatorischen Maskeraden entblößt ist. Für den Augenblick werden Raum an sich, Zeit an sich, Existenz an sich sichtbar. Natürlich bedient man sich, man bleibt ja doch innerhalb einer Kinokultur, einiger narrativer Tricks, um eine solche existenzialistische Situation herbeizuführen. Ein paar der beliebtesten Motive: die gefahrvolle Aufgabe, die man aus Not annehmen muss (wie im Klassiker »Lohn der Angst« oder aktuell »The Ice Road« mit Liam Neeson gibt es zwischen Gelingen und Tod keine dritte Option; »Speed« verbindet im Bus, der nie anhalten darf, das Klaustrophobische mit dem Bewegungszwang). Einschluss und Belagerung (wie in Howard Hawks' »Gefängnis-Western« oder John Carpenters »Assault«). Einbruch oder Ausbruch (»Le trou« oder der Bankraub nach »Rififi«). Das Duell oder die Rache (wie in Budd Boettichers Western mit Randolph Scott). Die Herausforderung eines natürlichen Ereignisses (wie in den konzentrierteren Exemplaren des Katastrophenfilms). Die Gefahr in einem Verkehrsmittel, das zur Falle wird (die Zombies in »Train to Busan«, die Schlangen in »Snakes on a Plane«). Die Flucht, so archaisch wie in Joseph Loseys ­»Figures in a Landscape« oder so politisch wie in Stanley Kramers »Flucht in Ketten«. Das Überstehen einer Havarie (»Der Flug des Phoenix«) oder der Kampf mit einem unsichtbaren oder unerklärlichen Gegner (Spielbergs »Duell«). Der Transport von gefahrvollen Gütern, gefährlichen oder gefährdeten Menschen (»Ice Cold in Alex«). 

Stets geht es um ein »existenzielles Abenteuer«, keine fröhliche Herausforderung, keine moralische Verpflichtung für die Allgemeinheit, keine Heldenreise und kein sportlicher Ehrgeiz. Es geht ums Ganze. Heldinnen und Helden sind nicht souverän, und sie entwickeln sich auch nicht, wahrscheinlicher ist ein Akt der Erkenntnis und der Selbsterkenntnis. Man erkennt seine Existenz, indem man um sie kämpft. 

Nicht dass es nicht auch im reduzierten Bewegungsbild des Aktionskinos Floskeln und Konventionen gäbe. Immer wieder gibt es in den Reihen der Menschen einen Verräter oder aber die ganze Mission ist als eine selbstmörderische Höllenreise inszeniert. Wenn ein Film wie »The Ice Road« in die Verschwörungsfantasie kippt, hat er sein Potenzial schon fast verspielt. Die lange ausgeschlossene Sentimentalität wird in der Koda am Ende umso kräftiger nachgeliefert. Die Psychologie kehr in Form der Gruppendynamik zurück. Kaum gibt es mal weniger zu tun, beginnen die Leute doch das Schwafeln. Das alles macht den Kampf ums Überleben zwar dramatischer, stellt aber bereits die Reinheit wieder infrage. Aber vielleicht wäre sie ohne solches Beiwerk auch nicht auszuhalten.

Bei all diesen Motiven ist die Ausgangssituation so eindeutig wie die Aussichten schlecht sind. Erklärungen sind so störend (und doch unabwendbar) wie ein Ende, gar ein gutes. 

Die Figuren im Cinema concrète bewegen sich am Rand der Verzweiflung. Sie sind daher der Tragödie näher als dem Melodram. In dem, was sie tun, einen Einbruch begehen, einen Truck übers Eis fahren, die Risiken der Flucht über die sichere Last der Gefangenschaft stellen, einen Gefangenen verteidigen (die Engführung von »3:10 to Yuma«), stellen sie sich dem Schicksal, und umgekehrt stellt das Schicksal sie, indem es ihnen Sturmwind oder Schlangen schickt oder Bösewichte, für die es keiner Erklärung bedarf. Auch sie sind einfach nur: existent. Man sieht in diesem Filmen also den Körpern, aber eben auch dem Schicksal bei der Arbeit zu, das manchmal so unbarmherzig und gerecht ist wie in »Fahrstuhl zum Schafott«. Dazwischen vermittelt, in einer Sonderform dieses minimalistischen Kinos, eine Form des Professionalismus, wie sie der John Wayne des Howard Hawks oder der Bruce Willis der »Die Hard«-Serie aufweisen. Professionalismus ist die Antwort des Individualismus auf das Schicksal. 

Die Reduktion der Mittel bringt den Film gleichsam automatisch dem reinen Kino näher. Die Kunst des B-Films besteht darin, aus dem Weglassen-Müssen ein Weglassen-Können und aus dem Weglassen-Können ein Weglassen-Wollen zu machen. Denn wie in einem Werk der Minimal Art wird nun diese Reduktion, im besten Fall jedenfalls, wiederum selbst zum Thema.

Man könnte, ganz undogmatisch, die Hauptkriterien des Cinema concrète/Film brut/Minimal Film im Spannungskino zusammenfassen: 
Eine Annäherung von Erzählzeit und Realzeit in längeren Phasen. Das beschreibt eine so »akademische« und melodramatische Vorgehensweise wie in Fred Zinnemanns High Noon ebenso wie das materialistische Interesse in Le trou. 
2 No way out! Hat man sie einmal angenommen, kann man aus der Situation nicht mehr aussteigen. Wir befinden uns in einer unerbittlichen Maschine.
3 Eine gleichbleibende Nähe zu den Protagonisten. Unerbittlichkeit wird auch ein Teil des Sehens, die cineastische Konstruktion von »Mitleid« wird reduziert. 
4 Die motivische Verengung führt zu einem gesteigerten Interesse an jedem Detail; Gegenstände des alltäglichen Lebens werden mit einer besonderen Aufmerksamkeit bedacht. 
Die ursprünglichen »Elemente« können eine leitmotivische Funktion einnehmen, Feuer, Wasser/Eis, Erde/Staub, Luft – bis hin zum Weltraum. Das existenzielle Abenteuer besteht, sehr oft ganz bildhaft, im Kampf darum, nicht »verschlungen« zu werden. 
Die größte Spannung entsteht aus dem Grundwiderspruch zwischen Enge und Weite. In der inneren Sphäre wird alles immer noch enger, während sich die äußere ausdehnt. Das Innere schließt sich, das Äußere dagegen öffnet sich. Und im Inneren gibt es nur den Augenblick, während sich draußen alles zur Ewigkeit dehnt. Auch das eine »existenzialistische« Konstruktion.
Die primary structures sind Gegensatzpaare, die hier besonders deutlich ausgeführt werden: Stille/Lärm, Beschleunigung/Verlangsamung, Festhalten/Loslassen, Zerbrechen/Standhalten, Handeln/Warten, Stehen/­Liegen. 
Das reduktionistische Action-Movie biegt nur knapp vor dem Sisyphos ab (wir erinnern uns an Laurel und Hardy, die eine absurde Vergeblichkeit erfahren) und führt zum maßlosen Zorn eines Mad Max, der nie gestillt werden kann.
Die Körper werden einer extremen Belastung ausgesetzt. Die Existenz, die einer hat, dies ist der letzte Schritt der Reduktion, ist nichts als der Körper, der er ist.

Die Spannung, die sich in dieser Komposition aufbaut, ist der Situation inhärent. Es gibt eine einzige Frage, die alle Bedenken und alle Aufmerksamkeit in sich hineinzieht: Wie wird das enden? Diese Frage ist essenziell, sie stammt aus dem Inneren der Aufgabe selbst. Werden der Einbruch und die Flucht gelingen? Können die Leute ihre Trucks über das zerberstende Eis bringen? Werden die Signale der Bedrohung rechtzeitig erkannt?

Tatsächlich spielen Klänge im Cinema concrète des Actionfilms eine ausnehmend wichtige Rolle, sowohl was das Sound-Design als auch was die Musik betrifft. Zu den wesentlichen Elementen gehören auch Szenen des Schweigens oder längere Sequenzen ohne Musik. In den entscheidenden Passagen im Cinema concrète des Actionfilms geht es nicht mehr um Geschichten und Erklärungen, um Einstellungen und Aussagen, sondern nur noch um die Situation selbst – eine der Gefahr. Während das gewöhnliche Kino der Gefahren eine solche Situation an die andere reiht, unterbrochen von Passagen, die die Charaktere entwickeln, den Plot oder Gegenspieler etablieren, bleibt das Kino der Situation weitgehend auf eine einzige solche Situation oder eine Reihe von Variationen (wie in der Minimal Music) konzentriert. Auf der einen Seite lauert dabei die Gefahr der reinen Abstraktion. In der Engführung gibt es auch keine Frage nach dem »Sinn« mehr, abgesehen von Beute und Überleben, sondern das Handeln und die Handlung (des Films) sind vollkommen identisch. Budd Boetticher etwa hat diese Gleichung in seinen Randolph-Scott-Western perfekt umgesetzt. Jean-Pierre Melville hat sie zur Haltung seiner erfundenen Kaste der Gangster und Polizisten gemacht. Es gibt keine Handlung außerhalb des Handelns: Monte Hellman in seinen »abstrakten« Western hat das noch einmal auf die Spitze getrieben. Das Handeln kommt hier sozusagen ohne Handlung aus. Und in Joseph Loseys »Figures in a Landscape« lernt man von einem wahren Meister, wie Reduktion zur Philosophie wird. 

Dass ein solches Kino des Handelns im Allgemeinen auf das Gebiet des B-Films beschränkt bleibt, ist ebenso nachvollziehbar wie der Umstand, dass es im deutschen Kino nur sehr wenige Exemplare davon gab (und wie unverständig reagierte die Kritik auf »Deadlock« von Roland Klick). Denn dieses zugleich kindliche und philosophische Kino des Handelns versündigt sich an zwei Hauptattraktionen des bürgerlichen Films: der Erklärung (als Psychologie oder in der Form des Mythos) und der Sinnstiftung (die nackte Existenz liefert keine wirkliche »Moral von der Geschichte«, weshalb die Enden von reduzierten Spannungsfilmen oft wie angepappter Nonsens erscheinen). Die Reduktion ist aber auch als semantische Technik der Traumfabrik nicht eben angelegen; die Überbietungsstrategie des Blockbuster-Systems, die All-inclusive-Ästhetik des Familienfilms haben sich Elemente der Handlungsästhetik einverleibt, um ihren existenziellen Kern ständig zu verraten. 

Zugleich wird diese Art von Action gern als klassisch, wenn nicht gar als altmodisch bezeichnet, wie etwa in Bezug auf die Serie von Actionfilmen mit Liam Neeson. Nicht nur weil hier oft auf den exzessiven Einsatz von CGI verzichtet wird, sondern auch weil der Bezugsrahmen des Films das physisch Mögliche ist. Das Wesentliche ist der Körper, und anders als im Body Horror oder im Sexfilm (was immer man gerade darunter versteht) gibt es eine positive Würde: Das Kino schaut dem Körper bei der Arbeit zu. Das genaue Gegenbild dazu sind die derzeit hegemonialen Superheldenfilme, die sich einen Dreck um Raum und Zeit kümmern und die Körper der Helden gleichsam manisch verpacken. Superhelden und -heldinnen sind Wesen, die keine Existenz haben. Ein anderes Gegenbild zum Cinema concrète ist der Mindfuck, das Kino der Doppelbödigkeiten und der Identitätsspiele. Noch eine Art Film, die sowohl dem ursprünglichen cineastischen Augenblick, dem Bild der Bewegung und der Bewegung des Bildes als auch dem existenzialistischen Grundgedanken widerspricht: Die Bewegung ist nicht physisch, und der Mensch ist alles Mögliche, am wenigsten seine Existenz. 

Dass in der Liebe zum Kino die Sehnsucht nach dem ursprünglichen Film verborgen liegt, hat also womöglich auch einen politischen Aspekt. In dieser Art von Bewegungsbild verlangt der Mensch seine Existenz zurück. 

Meinung zum Thema

Kommentare

für diese für mich sehr interessante Betrachtung!

Auch wenn ich nicht alle (Film-)Bezüge herstellen kann und den Text intellektuell (ganz im Gegensatz zum 'Brut'-Thema ;-) als durchaus fordernd empfinde, finde ich die Gedankengänge nachvollziehbar und meinen Horizont bereichernd.

Wie genial, dass solche Texte neben dem ganzen Mainstream-Des/Informations-Overkill zugänglich sind.

Many kudos!

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