Kritik zu Sabbatical
In ihrem Debütfilm erzählt Judith Angerbauer von einer dysfunktionalen Paarbeziehung vor der winterlichen Kulisse Griechenlands
Irgendetwas stimmt nicht zwischen Vater und Mutter, zwischen Vater und Tochter und vielleicht auch nicht zwischen Mutter und Tochter. In einem Steinhaus an der winterlichen griechischen Mittelmeerküste sitzen sie am Tisch. Nia, die Tochter, hat sich auf den Schoß ihrer Mutter Tara gekuschelt, bastelt mit ihr aus Strandgut Mobiles, Bilder, Skulpturen. Robert gibt sich redlich Mühe, doch irgendwie findet er keinen Zugang zu der Szene. Er mahnt, dass Nia nun in die Tagesbetreuung müsse, vermutlich schon sein nächstes Meeting im Kopf. Es ist die erste Szene in Judith Angerbauers Debütfilm »Sabbatical« und sie symbolisiert die ganze Dramatik dieser kleinen dysfunktionalen Familie, die größer wird und damit auch die gegenseitigen Vorwürfe, Verletzungen und verpassten Träume hervortreten. Es ist ein ruhiger Film, der keine eindeutigen Antworten gibt, keine klaren Verhältnisse schafft und auch keine Schuldzuweisungen anbietet. Stattdessen ist es ein dichtes Psychogramm einer komplizierten Familienkonstellation.
Robert (Trystan Pütter) und Tara (Seyneb Saleh) haben sich eine Auszeit von ihrem Alltag in Berlin genommen, bevor Nia (Zoë Baier) eingeschult wird. Vielleicht brauchen sie Abstand von der Routine, vielleicht wollen sie ihre Beziehung retten. Dass sie einfach eine gute Zeit haben wollen, der Gedanke drängt sich nie auf.
Robert arbeitet unentwegt weiter, hängt ständig in Telefonkonferenzen. Tara versucht sich an einem neuen Roman, doch nach ihrem erfolgreichen Debüt ringt sie um die passende Geschichte. Ihren ersten Entwurf bezeichnet Robert als »interessant, vielleicht aber auch einfach nicht gut«. Es kommt zum ersten erbitterten Streit, mit Wutausbrüchen, verbalen Attacken. Davon wird es im Laufe des Films noch viele geben. Nähe ist zwischen den beiden kaum zu spüren und der Graben wird tiefer, als Roberts jüngerer, unkonventioneller Bruder Jonathan (Sebastian Urzendowsky) auftaucht. Er ist sanft, voller Ideen und Aktivitäten – und ebenfalls aus Deutschland geflüchtet. Später werden nach einem Unfall noch Roberts Eltern dazustoßen, Hans (Bernhard Schütz), ein erfolgreicher Arzt, und Marlies (Ulrike Willenbacher), die ihre Bedürfnisse immer der Familie und ihrem Mann untergeordnet hat und doch einige Geheimnisse in sich trägt. Es ist eine Szenerie voller menschlicher Verlorenheit, in der jeder und jede das Beste geben will und doch in einer Rolle verharrt.
»Alles so klamm hier im Haus«, sagt Marlies einmal und beschreibt damit das komplette Familiengefüge. Rau ist das Klima im winterlichen Griechenland, ohne jegliche Leichtigkeit. So wie die Felsformationen auseinanderklaffen, die Wellen an den Strand schlagen, der Wind um das Haus bläst, so beschädigt sind die Figuren in »Sabbatical«, zu dem Angerbauer auch das Drehbuch geschrieben hat. Einfühlsam, ohne Partei zu ergreifen und mit einer stillen Melancholie beschreibt die Filmemacherin das Personentableau, in dem jede Figur mit ihren Verletzungen, Wünschen und Erwartungen kämpft. Manches ist absehbar, einiges überraschend und am Ende voller schmerzlichen Trosts.



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