Nahaufnahme von Laura Dern
Laura Dern in »Jay Kelly« (2025). © Netflix
In vier Jahrzehnten hat sich Laura Dern von David Lynchs Muse zu einer der aufregendsten Nebendarstellerinnen in Hollywood entwickelt, die mühelos zwischen Arthouse, »Jurassic Park« und Streaming-Serienhits wechselt. Nun stiehlt die 58-Jährige in der Ensemble-Tragikomödie »Jay Kelly« ihren Co-Stars die Schau
Sie ist eine der größten Schauspielerinnen unserer Zeit. »Sie könnte alles spielen«, schwärmte der im Januar dieses Jahres verstorbene David Lynch. Und wer wüsste das besser als dieser Regisseur, der Laura Dern, mit 19 Jahren, schlagartig bekannt machte. In seinem hypnotischen Thriller »Blue Velvet« (1986) ist sie, rundbürstengeföhnt, lieblich und gesittet, das idealtypische girl next door, Sandy. Als Gegenprogramm zu Isabella Rossellini in der Rolle einer masochistischen, von einem perversen Schurken gequälten Barsängerin hätte sie leicht als Karikatur enden können. Doch Laura Dern transzendiert das Klischee und verleiht der Blondine zarte Anmut und Verletzlichkeit, gepaart mit einer Stärke, die sie alle menschlichen Abgründe überwinden lässt. Anschließend konfrontiert Lynch sie im surrealen Liebesfilm »Wild at Heart« (1990) erneut mit der Finsternis. Und wieder kämpft sie sich, nun als Lula mit Lockenmähne und im Schlampenlook die Verkörperung einer (über-)sinnlichen Eva, aus der Gosse empor. Wieder hat sie keine Angst vor Hässlichkeit, wenn sie in Momenten größter Emotion ihr Gesicht zur Grimasse verzerrt und zum heulenden Elend wird.
Beide Filme wurden in ihrer suggestiven Collage aus Sex, Perversion und Gewalt, Trash und Poesie, Ironie und modernem Märchen sofort Kult. Doch wo es um Laura Derns damalige Filmpartner Kyle MacLachlan und Nicolas Cage inzwischen etwas stiller geworden ist, da ist die 58-Jährige sowohl auf der großen wie der kleinen Leinwand so angesagt wie nie zuvor. Derzeit ist sie etwa in Noah Baumbachs neuer Komödie »Jay Kelly« an der Seite von George Clooney zu sehen und in der im November anlaufenden zweiten Staffel der Apple-TV+-Serie »Palm Royale« als Buchhändlerin und Feministin im versnobbten Palm Beach der sechziger Jahre.
»Oh Baby, bring mich schnell zurück ins Hotel. Ich bin jetzt heißer als der Asphalt in Georgia«, sagt sie in »Wild at Heart«. Es erscheint nur folgerichtig, dass Laura Dern anschließend in der in den Dreißigern spielenden Südstaaten-Tragikomödie »Die Lust der schönen Rose« (1991) eine weitere elektrisierende Frauenfigur spielte. Als Rose, Hausangestellte in einer leidensfähigen Familie, versucht sie, sich Liebe und Zuneigung mit Sex zu erkaufen. Jede Bewegung eine Anmache, jeder Augenaufschlag ein Schmachten. Und wie Laura Dern mit ihrem elastischen Gesicht Roses überschäumende Emotionen darstellt, wie sie ihre fast 1,80 m Körperlänge stolz im dekolletierten Rüschenkleid spazieren führt, das ist aufreizend und anrührend zugleich. Auch hier gelingt es der Schauspielerin, das Klischee einer mannstollen Frau zu hinterfragen. Freud hätte seine Freude an dieser Eva und den männlichen Reaktionen auf sie gehabt; irgendwann ist sogar die Rede von Roses allzu betriebsamer Gebärmutter. Der Schutzengel dieser liebeshungrigen Frau ist ihre Arbeitgeberin, gespielt von Laura Derns Mutter Diane Ladd.
Denn Laura Dern entstammt dem Hollywood-Adel. Ihre Eltern – Bruce Dern, bekannt durch Haudegen-Rollen, zuletzt in »The Hateful Eight«, und Diane Ladd, zu sehen u. a. in »Alice lebt hier nicht mehr« – sind häufig in Laura Derns Filmen dabei. In »Wild at Heart« spielt Ladd Lulas abgrundtief böse Mutter. Kein Geringerer als Martin Scorsese prophezeite der siebenjährigen Laura, die in »Alice lebt hier nicht mehr« (1974) als Statistin auftrat, eine Schauspielerlaufbahn. Es spricht für Derns Selbstbewusstsein, dass sie, nach kleinen Auftritten in Teeniefilmen und im hochkarätigen Drama »Die Maske« mit Cher, das Risiko einging, mit Lynch zu drehen, der mit »Dune« gerade einen gigantischen Flop verbrochen hatte. Als junge Studentin der UCLA wollte sie sich für die Dreharbeiten beurlauben lassen. Doch der Leiter des filmwissenschaftlichen Instituts lehnte ab – erst recht, als er das Drehbuch gelesen hatte, das er als geisteskrank bezeichnete. »Blue Velvet« ist inzwischen filmisches Pflichtprogramm, nicht nur an dieser Universität.
Die professorale Warnung schien sich aber zu bewahrheiten. Denn die junge Schauspielerin wurde trotz des Hypes kein Star und durchlief sogar eine jahrelange Durststrecke. Hatte sie sich zu weit von ihrer äußeren Erscheinung als archetypisch süße Blondine freigespielt? Gut möglich, dass Lynchs schräge Meisterwerke und auch ihre Rose-Rolle, in der Laura Dern auf so unerhört provokante Weise zwischen unschuldig, verführerisch und neurotisch schillerte, sie für Mainstream-Filme als zu subversiv erscheinen ließen. So blieb sie trotz der Oscarnominierung, die sie im Duo mit ihrer Mutter für »Die Lust der schönen Rose« bekommen hatte, unter dem Radar.
Der rote Faden ihrer Karriere sind unorthodoxe Filme, und dazu gehörte der Blockbuster »Jurassic Park« mit seinen neuartigen Computeranimationen. Dreimal trat sie in Steven Spielbergs Dinosaurier-Epen an der Seite von Sam Neill auf und wurde so auch einem Familienpublikum vertraut, das mit Arthouse-Filmen à la Lynch nichts anzufangen wusste. Auch hier gelang es ihr, nicht nur als weibliche Begleitung, die mit endlos langen Beinen in kurzen Shorts schreiend vor dem T-Rex flüchtet, sondern auch als tatkräftige Wissenschaftlerin in Erinnerung zu bleiben. Ihr Faible für riskante Rollen bewies sie dann 1996 in »Baby Business« (»Citizen Ruth«, in Deutschland nicht ins Kino gelangt), einer als Komödie deklarierten Sozialsatire von Alexander Payne. Da spielt sie eine Drogensüchtige, deren vier Kinder in Pflegefamilien untergebracht sind. Erneut schwanger, rät ihr der Richter zu einer Abtreibung, worauf Ruth sowohl von Abtreibungsgegnern wie -befürwortern in Beschlag genommen wird. Mit dem humorvollen Blick auf Tabuthemen ist dieser Film auch heute noch starker Tobak. Und Dern, die als Ruth ihre komödiantische Ader ausspielt, erwies sich wieder mal als Geheimtipp der happy few.
Zum veritablen Kassengift erklärt wurde sie nach jener Folge der Sitcom »Ellen«, in der Ellen DeGeneres 1997, mit Dern als verständnisvoller Unterstützerin, ihr lesbisches Coming-out feierte. Der mediale Aufruhr verbannte Dern erst recht in die zweite Liga. Für ambitionierte Regisseure und Autorenfilmer indes ist sie damals wie heute erste Wahl: etwa für Robert Altman in »Dr. T and the Women« (2000). Oder als anbetungswürdige Mutter in »Der große Trip – Wild« (2014) und in Greta Gerwigs »Little Women«-Neuverfilmung (2019).
Ein kleines Comeback feierte sie mit Lynchs Film-im-Film »Inland Empire« (2006) als Schauspielerin, die sich zwischen Fiktion und Realität verirrt: ein dreistündiger Arthouse-Alptraum, in dem Laura Dern mit emotionaler Präzision jede Verstörung beglaubigt. Doch ihren derzeitigen Höhenflug verdankt sie vor allem dem Boom der Streamingdienste und dem Aufkommen hochklassiger Serien, die ihr neue Gelegenheiten geben, ihre Bandbreite zu beweisen. In der Serie »Big Little Lies« (2017-2019) spielt sie als überlebensgroße Zicke in einem All-Star-Ensemble Nicole Kidman, Reese Witherspoon und Meryl Streep an die Wand. Herrisch und insgeheim verletzlich ist sie einmal mehr eine Frau, die man liebt und hasst.
Diese verstörende Wirkung hat sie auch in Noah Baumbachs Netflix-Drama »Marriage Story« (2019), wo sie als Scheidungsanwältin ihre Klientin mit lautem Kriegsgeschrei in die Schlacht führt. Bissig wie eine Kobra spricht sie in einem langen Monolog über die doppelten Maßstäbe in der gesellschaftlichen Beurteilung von Vätern und Müttern. Dafür bekam sie 2020 doch noch einen Nebenrollen-Oscar verliehen. »Ich bin fast jeden Tag meines Lebens wütend«, sagt sie als Marmee in »Little Women«, und dass sie ihre Geduld erst mühsam erlernen musste. Zum Glück erlaubt es sich Laura Dern in ihren Filmen, diese Zurückhaltung abzulegen, mit Haut und Haaren einen Gefühlswirrwarr zu demonstrieren und uns den Spiegel vorzuhalten.



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