Kritik zu A House of Dynamite

© Netflix

2025
Original-Titel: 
A House of Dynamite
Filmstart in Deutschland: 
09.10.2025
Heimkinostart: 
24.10.2025
L: 
112 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Eine Atomrakete rast auf Chicago zu – und der politisch-militärische ­Apparat in Washington versucht auf allen Ebenen, die Katastrophe zu verhindern. ­Kathryn Bigelow setzt in ihrem Thriller drei Mal an, um in minutiöser Präzision den nuklearen Notfall zu sezieren – und die Unmöglichkeit, die richtige Entscheidung zu treffen  

Bewertung: 5
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Siebzehn Jahre ist es her, dass Kathryn Bigelow für »The Hurt Locker« als erste Frau überhaupt mit dem Oscar in der Regie-Kategorie ausgezeichnet wurde und sich endgültig ihren Platz in der Filmgeschichte sicherte. Doch während männliche Filmemacher nach dem Erreichen des Karrierehöhepunkts nicht selten auf ein nahezu unantastbares Podest erhoben werden, wird Bigelow seither zusehends kritischer beäugt. »Zero Dark Thirty« sorgte etwa 2012 für höchst kontroverse Debatten, in denen die Vorwürfe von »zu unkritisch gegenüber der Obama-Regierung« bis »Folter-Propaganda« reichten, fünf Jahre später fielen die Reaktionen auf »Detroit« höchst verhalten aus, nicht zuletzt auch an den Kinokassen. Wohl auch deswegen gehörte ihr neuer Film im diesjährigen Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig für viele nicht zu den Werken, denen jeder entgegenfieberte. Was die Erkenntnis am Ende umso erfreulicher machte, dass der Amerikanerin mit »A House of Dynamite« einer der ganz großen Filme des Jahres gelungen ist.

Dass die Zeiten vorbei sind, in denen sich die Weltgemeinschaft einig war, dass eine globale Abrüstung deeskalierende Wirkung hat, stellt der Film gleich zu Beginn mit einer nüchternen Texttafel fest. Die Atomwaffen, die längst wieder jede Möchtegern-Weltmacht in ihrem Arsenal haben will, sind der Sprengstoff, der »A House of Dynamite« den Titel gibt. Und mittendrin in ebendiesem Haus, das allzeit in die Luft fliegen könnte, sitzen selbst die USA und ihr Politbetrieb, wie sich in dieser von Noah Oppenheim (»Jackie«) geschriebenen Geschichte schnell zeigt.

Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere in Washington D. C. und dem das Weiße Haus umgebenden Kosmos. Überall herrscht geschäftiges Treiben im Normalzustand, im White House Situation Room genauso wie bei der Federal Emergency Management Agency, im Pentagon wie auf den diversen Militärbasen. Für den Präsidenten (Idris Elba) jagt ein Termin den nächsten, so dass kaum Zeit für ein Telefonat mit der in Afrika weilenden Gattin bleibt, und der Verteidigungsminister (Jared Harris) gönnt sich eine Auszeit beim Golf. Doch dann registriert man eine im Pazifik abgeschossene, womöglich nukleare Rakete. Wer sie gestartet hat, ist nicht auszumachen, doch die Hoffnung, sie könne schnell über dem Meer verpuffen, erfüllt sich nicht. Ein Einschlag mitten in den USA wird für in 19 Minuten prognostiziert – und bei allen Verantwortlichen ist ein Ausnahmezustand angesagt, der bislang immer nur als theoretisches Szenario im Raum stand.

Dreimal beginnt die letzte halbe Stunde vor der Katastrophe in »A House of Dynamite« von vorn, jedes Mal werden die Ereignisse aus den Perspektiven verschiedener Beteiligter gezeigt. Darunter nicht nur die genannten Entscheidungsträger an der Spitze (wobei Elba als POTUS reizvoll spät eingeführt wird), sondern auch Captain Walker (Rebecca Ferguson), die im Situation Room die Strippen zieht, ein Major auf einer Militärbasis in Alaska (Anthony Ramos), eine Nordkorea-Expertin (Greta Lee) oder General Brody (Tracy Letts), der die Atomstreitkräfte kontrolliert.

Gemessen daran, dass die atomare Gefahr für die Menschheit heutzutage längst größer zu sein scheint als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, ist es eigentlich erstaunlich, dass das Thema filmisch noch nicht annähernd wieder so präsent ist wie etwa in den 1960er Jahren. Bigelow reiht sich mit ihrem Film schließlich in eine große Tradition ein – und dann doch auch wieder nicht. Der satirisch-schwarze Humor von Kubricks »Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben« geht »A House of Dynamite« erwartbar völlig ab, näher liegt da schon die Präzision von Sidney Lumets Romanadaption »Angriffsziel Moskau«. Doch wo dort ein – wie es damals hieß – dezidiert hypothetisches und nicht wirklich realistisches Szenario durchgespielt wurde, exerziert die Regisseurin, die schon immer ganz besonders an Politik, dem Militärkomplex und der Arbeit unterschiedlichster Exekutivorgane interessiert war, hier mit viel Sinn für Genauigkeit und Blick für die Kleinteiligkeit des Prozederes einen Fall durch, der nicht weit hergeholt wirkt.

Der Tonfall ist dabei vergleichsweise nüchtern, jedenfalls nie reißerisch und dank einer sehr behutsamen Integration der privaten Seiten der Figuren auch nie zu emotional. Politisch ist der Film, der sich einem klassischen Finale auf bezwingende Weise verweigert, dabei vor allem auf den zweiten Blick. Es ist eben gerade nicht zu klären, von wem und warum der atomare Sprengkörper in Richtung der USA geschickt wurde. Und den Finger am Atomzünder bzw. den Code zur Ermöglichung eines (präventiven?) Gegenschlags hat nicht ein unberechenbarer, auf Krawall gebürsteter Hitzkopf wie aktuell einer im Weißen Haus sitzt, sondern ein besonnener, ja zaudernder Präsident, der sich die Entscheidungen besonders schwer macht. Womit schließlich klar wird: In dieser von Aufrüstung, Drohgebärden und zerrüttetem Vertrauen geprägten Welt ist die Gefahr eine systemische – und das Hoffen auf zumindest die Chance einer halbwegs friedlichen und humanen Lösung längst eine Illusion.  

In der Summe ist »A House of Dynamite« in erster Linie aber ein atemberaubender »Countdown zur Katastrophe«-Thriller über die politischen, moralischen und menschlichen Entscheidungen, die es in einer solchen Extremsituation zu fällen gilt. Das Ensem­ble ist durch die Bank sehenswert (Ferguson, Harris und Letts gilt besondere Erwähnung), doch es ist nicht zuletzt die handwerkliche Perfektion, die »A House of Dynamite« zum Ereignis macht. Wie Bigelow mit Hilfe der Kameraarbeit von Barry Ackroyd, der Montage von Kirk Baxter und der exzellenten Musik von Volker Bertelmann bis zum konsequenten (Nicht-)Ende die Spannung nicht nur hält, sondern zusehends steigert, ist wahrlich meisterlich.

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