Kritik zu Jackie

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Kein Biopic, eher eigenwilliges Close-up: Der Chilene Pablo Larraín (»No«, »Tony Manero«) skizziert in seinem ersten englischsprachigen Film die Tage nach dem Attentat auf JFK als raffinierte Erinnerungssplitter und nähert sich einer Unnahbaren an. Die grandiose Natalie Portman nimmt dabei Kurs auf den nächsten Oscar

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Ein machtvoller Streicherakkord gibt den Ton vor. Es ist ein dramatisches Nach-unten-Sausen, dröhnend, einschüchternd, beklemmend, eher Akzent als Melodie, eher Effekt als Untermalung. Eine Musik wie ein Absturz: als würde sich der Boden unter einem auftun. Die überwältigende Tonfolge liegt über den ersten Bildern von »Jackie« und zieht uns abrupt auf das emotionale Level der Hauptfigur: einer Frau, deren eben noch glamouröses Leben sich binnen Sekundenbruchteilen in einen Alptraum verwandelt hat. Ihr Blick ist leer, ihr Gesicht ausdruckslos, wenn sie im fahlen Morgenlicht durch den Garten ihres Grundstücks taumelt. Doch die Musik sagt alles über ihren inneren Aufruhr.

Wieder und wieder kommt dieser Akkord zum Einsatz; er ist das zentrale Element des Soundtracks, ein drastisches, überaus wirkungsvolles Stilmittel, das die Wucht des Ausnahmezustands hör-, vor allem aber spürbar macht. »Jackie« ist ein Film über Erschütterung, über Schockstarre, über die Vehemenz von Trauer, und die Klangkünstlerin Mica Levi hat großen Anteil daran, dass diese Themen nicht nur intellektuell, sondern auch emotional verhandelt werden.

Wenn Jacqueline Kennedy (Natalie Portman) an jenem Morgen in Hyannis Port, Massachusetts, einen namenlosen Journalisten (Billy Crudup) für ein Interview empfängt, scheint es fast, als wolle der Film seine Ereignisse in einer klassischen Rückblendenstruktur abspulen. Jackie begrüßt den Pressemann kühl und distanziert, lässt keinen Zweifel daran, dass sie diesen Termin nur eine Woche nach dem Attentat auf JFK für eine lästige Pflicht hält, die sie zugleich als Chance nutzen will: als Gelegenheit, anderweitige Spekulationen im Keim zu ersticken und stattdessen ihre Version der Ereignisse, ihren Blick auf die Jahre der Kennedy-Präsidentschaft, in die Welt hi­nauszuschicken. Dem Interviewer sei doch wohl bewusst, dass sie jeden seiner Sätze redigieren werde, stellt sie gleich zu Beginn klar, und im Lauf des Gesprächs wird es immer wieder Momente geben, in denen sie ihre Erzählungen schneller kassiert, als ihr Gegenüber sie mitschreiben kann. An objektiver Geschichtsdarstellung ist dieser Frau kaum gelegen, eher schon an praktizierter Legendenbildung.

Und wenn sie dann zu erzählen beginnt, wird schnell deutlich, dass auch Regisseur Pablo Larraín und sein Autor Noah Oppenheim keinen »objektiven« Anspruch an ihr Porträt der vermutlich schillerndsten First Lady aller Zeiten haben. Die Rückblenden gestalten sie alles andere als klassisch, sie entwickeln sich zu einem assoziativen Fluss der Erinnerungen, der weder chronologisch noch klar strukturiert abläuft, sondern den Eingebungen des Moments zu folgen scheint. Der chilenische Filmemacher, von je her ein Freund feinsinniger Metaerzählungen, liefert uns nicht »die ganze Jackie« und noch nicht einmal »eine Jackie«, sondern eine facettenreiche Annäherung voller Widersprüche und Ungereimtheiten, voller Leerstellen und Spekulationen. Jackie, hingebungsvoll und nuancenreich interpretiert von Natalie Portman, erscheint mal unsicher und naiv, mal clever und raffiniert, mal stark und gefasst, mal neurotisch und depressiv. Sie ist, in Larraíns Interpretation, nicht eine Person, sondern viele – nicht so radikal wie in Todd Haynes' multipler Dylan-Annäherung »I'm Not There«, aber doch so vielseitig und disparat, dass sie sich nicht auf einen schlüssigen Charakter reduzieren lässt. Die Wahrheit, sagt Larraín, liegt irgendwo zwischen den Bildern.

Wie Larraíns vorletzter Film »Neruda« scheint auch »Jackie« einen umfassenden biografischen Anspruch im Titel zu tragen, aber beide Filme limitieren ganz bewusst ihren erzählerischen Ansatz, verweigern sich den Regeln des konventionellen Biopics. »Neruda« ist ein verspielter Diskurs über das Verhältnis von Fakt und Fiktion, kein Film über, sondern, in Larraíns Worten, »à la Neruda«. »Jackie« beschränkt sich dezidiert auf die gut zwei Jahre von 1961 bis 1963, in denen die Kennedys das Weiße Haus zu einer kulturellen Hochburg mit Promifaktor machten. Doch auch diese Phase skizziert der Film nur kryptisch: Wir erfahren weder etwas über die großen politischen Themen jener Jahre noch über das Eheleben der Kennedys. Bedeutung schreibt »Jackie«, ganz auf den Mythos »Camelot« und das Vermächtnis ihres Mannes bedacht, eher dem Engagement für die Bewahrung historischer Details und der Veranstaltung rauschender Feste zu.

Im Zentrum steht eben nicht die umfassende Historie, sondern der Mikroblick auf jene Woche, die auf die tödlichen Schüsse von Dallas folgte: auf die beklemmende Enge in der Air Force One, als Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) zum neuen Präsidenten vereidigt wird, während die fassungslose Jackie immer noch das blutverschmierte pinke Chanel-Kostüm trägt, das sie auch danach noch stundenlang anbehalten wird; auf den langen, benebelten Abschied vom Weißen Haus, den die Kamera zusammen mit der tragischen Heldin in endlosen Fahrten zelebriert; auf die komplizierte Planung der Beerdigungszeremonie, die zugleich Politikum, Sicherheitsrisiko und feministisches Statement ist. Larraín erkundet in diesen Szenen vor allem das Wesen der Trauer angesichts eines derart harten Schicksalsschlags. Dabei fokussiert er sich voll auf seine Protagonistin; die allesamt exzellent gespielten anderen Figuren – der um Schadensbegrenzung bemühte Bobby Kennedy (Peter Sarsgaard), die loyale Assistentin Nancy Tuckerman (Greta Gerwig), ein erstaunlich teilnahmsloser Priester (John Hurt), der mysteriöse William Walton (Richard E. Grant) – bleiben Randerscheinungen.

Zu Larraíns eigenwilliger Methode gehört, dass er es zwar einerseits mit den historischen Fakten nicht so genau nimmt, andererseits aber Originalmaterial in sein Bilderpuzzle hineinschneidet. Manchmal würde man sich etwas mehr »Größe« in Form von aufwendigeren, die Perspektive weitenden Einstellungen wünschen. Aber die Beschränkungen eines fraglos bescheidenen Budgets erweisen sich dann doch als Vorteil: »Jackie« lebt von der Nähe und Intimität, die der Film trotz aller Vexierspiele aufbaut.

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