Kritik zu Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen
Auf den ersten Blick hat Pablo Agüeros Abenteuerfilm wenig zu tun mit dem berühmtesten Buch des Titelhelden. Vielmehr erzählt er eine Episode, die der flugbegeisterte Schriftsteller in »Nachtflug« und »Wind, Sand und Sterne« verarbeitete. Eine bloße Marketing-Hochstapelei ist der deutsche Titel dennoch nicht
Hier unten, am südlichsten Zipfel des Kontinents, sind die beiden Postflieger an extreme Wetterbedingungen und bedrohlich aufragende Landschaften leidlich gewöhnt. Aber mit einem magnetischen Wolkenfeld hat der junge Saint-Ex (Louis Garrel) nicht gerechnet. Sein Kompass spielt verrückt, auf Sicht kann er jetzt nicht mehr fliegen. Also muss sein unerschütterlicher Kollege Guillaumet (Vincent Cassel) für ihn navigieren. Immer weiter, immer schneller und immer zusammen, das haben die zwei sich einst geschworen.
Allein, es hilft nichts. Saint-Ex ist zur Bruchlandung auf dem Meer gezwungen. Während seine Maschine rasch sinkt, reckt er die Tasche mit der Luftpost in die Höhe. Sie ist wichtiger als das eigene Leben, lautet das Motto der »Aeropostale«, für die sie in Argentinien arbeiten. Der Freund kommt noch rechtzeitig, um ihn vor dem Ertrinken zu retten. Aber damit ist die Gefahr nicht ausgestanden, denn die Sonne geht unter. Unversehens entdeckt der Gerettete in der Ferne den Scheinwerfer eines Nachtzugs. Eine Sternschnuppe auf sechs Uhr signalisiert er dem Piloten. Wer könnte einen solchen Code entziffern, wenn nicht ein Gefährte, mit dem man unzertrennlich verbunden ist? Die Post wird zugestellt, wenn auch mit leichter Verspätung.
Kein landläufiges Biopic, sondern die Beschwörung einer Freundschaft unter Profis kündigt sich im atemraubenden Prolog dieses Films an. Pablo Agüero greift eine legendenumwobene Episode in Saint-Exupérys Leben auf: seine Zeit als Pilot einer Luftpostgesellschaft in Patagonien, wo später gar ein Berggipfel nach ihm benannt wurde. Agüeros Drehbuch nimmt sich lässliche Freiheiten. Tatsächlich hatte der Titelheld die Fluglinie gegründet und war weit erfahrener als seine filmische Inkarnation. Auch als Schriftsteller war er bereits bekannt, während er hier erst im Epilog dazu wird. Mithin kehren sich die Verhältnisse in dieser Initiationsgeschichte um: Guillaumet übernimmt die Rolle des Mentors, während Saint-Ex noch ein naiver Träumer mit großen Ideen ist. Sein gewohntes, amüsiertes Phlegma muss Garrel zu diesem Zweck ablegen. Als der Freund von einem waghalsigen Flug über die Kordilleren nicht zurückkehrt, setzen Saint-Ex und Guillaumets Frau (Diane Kruger) alles daran, ihn zu retten. Nach menschlichem Ermessen scheint die Mission aussichtslos. Saint-Ex' Maschine kann nicht die nötige Flughöhe erreichen, um die Berggipfel zu überwinden. Und die Einheimischen wissen, dass die Anden im Winter keinen Verschollenen zurückgeben.
Es mangelt nicht an Tollkühnheit in diesem Film, weder vor noch hinter der Kamera. Der aus Argentinien stammende Regisseur (seine Geburtsstadt Mendoza spielt eine wichtige Rolle als Basislager der Linie) scheint seine frühe Neigung zum Abenteuergenre mit jeder neuen Arbeit philosophisch vertiefen zu wollen. Saint-Exupérys Frage nach der Bestimmung des Menschen – ein persönliches Opfer zu bringen für eine Sache, an die man glaubt –, lässt er nach dem Auftakt indes rasch hinter sich. Nun kommt »Der kleine Prinz« ins Spiel. Sein Held rekonstruiert die Strecke des Freundes nicht nach topographischen Anhaltspunkten, sondern märchenhaften. Ein kleines Mädchen tritt auf, das »sehen kann, wie sich der Wind bewegt«, und ein weiser Hirtenjunge rät ihm, den Flug der Kondore zu studieren. Agüeros poetischer Ehrgeiz findet zunächst eine triftige Entsprechung in erhabenen Landschaftpanoramen. Aber die physische Realität kommt seinem Film zusehends abhanden.
Die naiven Spezialeffekte, gewiss aus Bildernot geboren, geraten zu einer ästhetischen Tyrannei. Die Elemente verblassen, Wolken und Schnee mischen sich zu einem silbrigen Einerlei, das nur gelegentlich von orangerotem Sonnenlicht durchbrochen wird: Jedes Bild wirkt synthetisch. Mitunter kann man schwer entscheiden, wer mehr zu bedauern ist: die Darsteller, die unablässig vor einem Green Screen agieren müssen – oder die Kamerafrau Claire Mathon, deren Kunst eigentlich in der lyrischen Verankerung von Geschichten in erlebbarer Wirklichkeit besteht.
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