Interview: Nikolaj Arcel und Anders Thomas Jensen über »King's Land«

Nikolaj Arcel © Zentropa Ent. / Nordisk Film & TV-Fond

Nikolaj Arcel © Zentropa Ent. / Nordisk Film & TV-Fond

Wir sind es gewohnt, im Vorspann eines Films zu lesen »basierend auf einer wahren Begebenheit«. Das war hier nicht der Fall. Erzählen der Film und das zugrundeliegende Buch eine vollkommen fiktive Geschichte? Hat Ludvig Kahlen gar nicht existiert?

Anders Thomas Jensen: Doch, Kahlen gab es wirklich. Er hat sich im Namen des Königs in die dänische Heide begeben und versucht, der erste Mensch zu sein, der dort eine Zivilisation begründet und dem es gelingt, dort etwas anzupflanzen. Auch Schinkel ist eine reale Figur, ein unangenehmer Zeitgenosse, der seiner Dienerschaft das Leben schwer machte. Ida Jessen hat für ihren Roman diese beiden Figuren genommen, sie aber vollkommen fiktionalisiert. Deswegen sagen wir nicht 'basierend auf einer wahren Geschichte' – es ist eine fiktive Abenteuergeschichte, die auf einigen wahren Ereignissen beruht. 

Der 2020 erschienene Roman trägt den Titel »Kaptajnen og Ann Barbara«, danach könnte man erwarten, die zentrale Beziehung ist die zwischen Kahlen und der Witwe. Im Film spielt die erst später eine Rolle, lange kann sich der Zuschauer auch fragen, ob nicht Schinkels Cousine Helene die Frau in Kahlens Leben sein wird. Hat sich in dieser Hinsicht viel auf dem Weg vom Roman zum Film verändert?

ATJ: Nein, das ist auch im Roman so. Wenn man ihn liest, denkt man wirklich lange Zeit, er wird Helene aus den Klauen des Bösen befreien und mit ihr zusammen ein Happy End finden. Die Beziehung zwischen Ludvig und den drei Frauen in seinem Leben (denn das kleine Mädchen, Anmai Mus, ist ja auch nicht unwichtig) ist auch im Roman zentral.

Sie haben beide mit Mads Mikkelsen zuvor gearbeitet. War diese Rolle schon für ihn geschrieben?

ATJ: Das war der Fall. Wenn man den Roman aufschlägt, sieht man schon auf der ersten Seite Mads Mikkelsen vor sich. Wir haben ihn also schon bei der Romanlektüre kontaktiert und hatten dann eine Tasse Kaffee in meinem Haus, wo wir ihm die Geschichte erzählten. Er sagte, er sei interessiert, wenn wir ein gutes Drehbuch verfassen würden. 

Ihm gefiel die Idee, nicht allzu viel sagen zu müssen und stattdessen mit einer verhaltenen Mimik zu arbeiten?

Ich glaube, das gefällt allen Schauspielern – aber speziell Mads, weil er so gut darin ist.

Gibt es denn überhaupt etwas, worin er nicht so gut ist?

(beide): Nein!

Nikolaj Arcel: Man muss es immer wieder sagen: er ist in allem gut. Thomas hat mit ihm fünf Mal zusammengearbeitet, in allen fünf Filmen, in denen er ihn inszeniert hat, hat er ganz unterschiedliche Figuren verkörpert. Ich selber habe mit ihm zwei Mal gearbeitet, auch das waren ganz unterschiedliche Figuren. Und in den Filmen von Thomas Vinterberg ist es genau so. 

Es war schön, den Film gestern auf der großen Leinwand zu sehen, weil er eindrucksvolle Bilder besitzt und überhaupt ein sehr physischer Film ist. Wieviel davon waren Spezialeffekte? Wie viel wurde tatsächlich bei strengen winterlichen Temperaturen gedreht?

NA: Wir haben tatsächlich in der Heide gedreht, auch bei Regen und starkem Wind, allerdings im Oktober. Der Schnee war künstlich, aber für die Schauspieler war es schon eine Herausforderung – allerdings nichts, was mit dem zu vergleichen ist, was die Leute erlebten, die 1750 hierher kamen. Wir konnten immer in den Trailer gehen und uns bei einer Tasse Kaffee aufwärmen. Bei einigen Aufnahmen mussten wir im Nachhinein etwas digital entfernen, etwa Windräder. 

Gab es Diskussionen zwischen Ihnen beiden und möglicherweise mit den Produzenten, wie ausführlich man die Grausamkeit des Antagonisten zeigen sollte? Da gibt es ja doch einige ziemlich drastische Szenen.

NA: Wir waren uns darüber einig, dass die Grausamkeit gezeigt werden musste, um ihn zu verstehen. Er ist schon krank, ein verdorbenes Kind. Wenn man einen historischen Film über diese Zeit dreht, gehört das dazu, denn die Gewalt war damals Teil des Alltagslebens. Wir haben mehr Zeit damit verbracht, die anderen Aspekte seiner Figur auszuarbeiten. 

Mir hat der Schluss sehr gut gefallen, dieser Epilog mit seiner verknappten Erzählweise. Wir wollen nicht verraten, was da passiert, aber war es klar von Anfang an, dass es so lakonisch erzählt wird?

ATJ: Für mich auf jeden Fall.

NA: Es ist eine Liebensgeschichte, zeitweise ein Abenteuerfilm. Aber wir wollten das modern erzählen, nicht übermäßig sentimental. 

ATJ: Im dritten Akt beginnt etwas Neues, das sich am Ende auflösen muss.

Herr Arcel, Sie haben zuvor in den USA die Stephen-King-Adaption »The Dark Tower« inszeniert, auch dort gibt es eine zentrale Konfrontation zwischen dem Helden und seinem bösen Antagonisten, der wie ein gunslinger daherkommt. Als ich hier Mads Mikkelsen sah, musste ich an die Figur denken, die John Wayne in Howard Hawks' »Red River« verkörpert, lange Zeit ebenfalls starr auf das selbstgesetzte Arbeitsziel fixiert. Haben Sie eine spezielle Vorliebe für das Genre des Westerns?

NA: Keine spezielle. Ich sehe diesen Film eher als einen Historienfilm. Aber es gibt natürlich eine Reihe von Einstellungen, die Anklänge an den Western haben. Das Haus im Marschland erinnert an John Ford, der natürlich ein Meisterregisseur ist. Aber ich habe mir zur Vorbereitung nicht speziell Western angeschaut, ich dachte eher an die epischen Filme von David Lean.

Ist ein solcher Film für Dänemark eher etwas Ungewöhnliches? 

NA: Eher ja, aber so etwas drehe ich gerne, mein letzter dänischer Film war »Die Königin und der Leibarzt«: das ist eine Welt, in die ich gerne eintauche. Ich liebe diese Art von Filmen. 

Aber Sie waren nie versucht oder wurden von Produktionspartnern gebeten, diese Filme in englischer Sprache zu drehen?

NA: Nein. Dies ist eine dänische Geschichte.

Ist die Figur von Ludvig Kahlen in Dänemark bekannt? 

(beide): Nein.

ATJ: Er ist vollkommen unbekannt. Er hatte Erfolg und doch nicht, die Heide wurde eigentlich erst hundert Jahre später kultiviert. Er gehört zu einem vergessenen Kapitel der dänischen Geschichte.

Kahlens ursprüngliches Bestreben ist es ja, für seine Kultivierung der Heide einen Adelstitel zu bekommen. Kann man das als Rache an seinem adligen Vater auffassen? Der hatte ja seine Mutter, die bei ihm als Dienstmagd arbeitete, geschwängert, was Ludvig zu einem »Bastard« machte (so auch der dänische Originaltitel des Films).

ATJ: Das trifft es ziemlich gut, vielleicht weniger Rache, als vielmehr seinem Vater zu beweisen, dass er selber auch etwas erschaffen konnte. 

Am Ende erfahren wir aus einer Titeleinblendung, dass er später seinen Besitz verlies und damit seine Privilegien verlor. Das wird nicht weiter erklärt...

NA: Na ja, er hat geschafft, was er sich vorgenommen hat, aber er ist allein, so bedeutet ihm das jetzt nichts mehr. 

Ich vermute, die Vorurteile gegenüber dem dunkelhäutigen kleinen Mädchen, die nicht nur bei den Leuten existieren, bei denen sie zu Beginn lebt, sondern noch stärker bei den deutschen Bauern, die vom König angeheuert werden, um Kahlen bei der Kultivierung der Heide zu helfen, basieren auf realen historischen Begebenheiten?

NA: Ja, ich würde es allerdings weniger als Rassismus einstufen denn als Aberglauben. Es gab damals kaum dunkelhäutige Menschen in Dänemark. 

ATJ: Zumindest nicht auf dem Lande, in den Städten dagegen gab es Sklaven. 
Herr Arcel, nach Ihrer US-Erfahrung würden Sie gerne wieder dort arbeiten oder bevorzugen Sie Dänemark?

NA: Ich drehe gerne Filme in Dänemark, ich denke, das lohnt sich eher, aber man weiß nie, was die Zukunft für einen bereit hält. Unser nächstes gemeinsames Projekt ist jedenfalls wieder ein dänischer Film. 

Herr Jensen, planen Sie auch wieder einen Film als Regisseur?

ATJ: Ja, ich bereite etwas vor, was hoffentlich im Sommer gedreht werden wird. Genremäßig nicht sehr weit entfernt von dem, was ich bisher gemacht habe.

Crazy stuff!?

ATJ: Crazy stuff!

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