Interview: Asghar Farhadi über »A Hero«

Asghar Farhadi und Amir Jadidi am Set von »A Hero« (2021). © Verleih

Asghar Farhadi und Amir Jadidi am Set von »A Hero« (2021). © Verleih

Herr Farhadi, Sie sind bei unserem Zoom-Interview von der amerikanischen Westküste zugeschaltet. Da Ihr Film in den USA bereits aufgeführt wurde, habe ich mich gefragt, ob Sie dort ein neues Projekt vorbereiten – Ihren ersten Film in Englisch?

Nein, ich bin hier um noch ein wenig Promotion für »A Hero« zu machen. 

Sie haben in Interviews wiederholt erzählt, dass all ihre Filme mit einem Bild beginnen, das Sie in Ihrem Kopf haben und von dem aus Sie die Story entwickeln. Wie war das bei »A Hero«?

In diesem Fall war es anders, sein Ausgangspunkt war kein Bild, sondern ein Konzept. Vor vielen Jahren, als ich Student war, sah ich ein Bühnenstück von Bertolt Brecht, »Leben des Galilei«. In dem geht es an einem Punkt darum, in der Gesellschaft einen Helden zu erschaffen. Danach verfolgte ich Meldungen in den Lokalnachrichten, die davon erzählten, wie Menschen abhanden gekommene Wertsachen ihren Besitzern zurückbringen. Das war der Ausgangspunkt.

In Ihren Filmen arbeiten Sie häufiger mit Elementen des Thrillers, sehr eindeutig in Ihrem vorangegangenen Film »Offenes Geheimnis«, weil dort eine Entführung eine zentrale Rolle spielt. In »A Hero« bleiben dem Protagonisten für seine Mission nur zwei Tage, bevor er ins Gefängnis zurückkehren muss. Das setzt ihn unter Zeitdruck und verleiht dem Film sein Tempo. Zum anderen, auch das kennt man aus Ihren früheren Filmen, enthalten Sie dem Zuschauer bestimmte Informationen vor, was sie Motivation von Figuren anbelangt oder auch deren Vergangenheit. Ich würde gerne wissen, wie wichtig ist dieses Element für Sie? Geht es Ihnen darum, die Zuschauer in die Geschichte hineinzuziehen oder bezwecken Sie damit Anderes?

Ja, in meinem letzten Film sorgte das für Suspense. Aber hier ist das anders. Es geht um mehr, nämlich um das Schaffen von Ambivalenz. Eine Atmosphäre von Zweideutigkeit ist in diesem Film von großer Wichtigkeit. Denn diese Geschichte spielt sich in einem Raum ab, wo der Zuschauer das Gefühl bekommt, es gäbe nichts, dem er vertrauen könne. Zwar sehen wir in diesem Film alles, aber was der Zuschauer daraus in seinem Kopf macht, ist ambivalent. 

Wo Sie gerade von Ambivalenz sprechen: in einem konventionellen Film wäre die Figur Bahram, der Mann, dem Rahim Geld schuldet, der Antagonist. In dieser Rolle zeigen Sie ihn anfangs, wenn er Rahim am Telefon beschimpft und zu keinerlei Lösung bereit zu sein scheint. Später erfährt man dann mehr über die vergangene Geschichte der beiden Männer und kann ein gewisses Verständnis für ihn entwickeln. Ich muss allerdings zugeben, dass selbst in der Szene, in der Rahim ihn in seinem Copyshop aufsucht und ihn körperlich attackiert, meine Sympathien bei Rahim lagen oder ich doch zumindest Mitleid mit ihm hatte, weil er sich dadurch die Sympathien seiner Unterstützer verscherzte. Ist diese Ambivalenz der Figuren etwas, an der Sie auch noch im Schneideraum arbeiten, indem Sie überlegen, wie das Publikum in bestimmten Szenen reagieren wird – oder ist die schon im Drehbuch präzise umrissen?

Nein, das ist alles schon im Drehbuch festgelegt, sowohl die Ambivalenz der Figuren als auch der Atmosphäre. Im Fall der Figur von Bahram erwächst sie daraus, dass wir uns schon ein Bild von ihm gemacht haben, wenn wir ihn das erste Mal sehen. Erst wenn er dann anfängt zu sprechen, verstehen wir seine Sicht der Dinge und unser Blick auf ihn verändert sich. Das ambivalente Verhältnis, das der Zuschauer zu allen Figuren in diesem Film hat, erwächst daraus, dass es nicht einfach ist, sie zu beurteilen. 

Im vergangenen Herbst zeigten Sie »A Hero« beim London Film Festival und sprachen im Anschluss an die Vorführung auf der Bühne mit Mike Leigh. Er verbringt viel Zeit mit der Vorbereitung seiner Filme in einem gemeinsamen Prozess mit den Schauspielern. Auch wenn das anders ist als bei Ihnen, würde ich gerne wissen: sehen Sie einen gewissen Einfluss durch seine Filme oder haben Sie die erst gesehen, als Sie ihre Methode schon entwickelt hatten? Sie haben ihn ja persönlich kennengelernt, als Sie beide im selben Jahr Mitglieder der Berlinale-Jury waren.

Ja, da habe ich ihn persönlich kennengelernt, aber seine Filme kannte und schätze ich schon vorher, besonders »Secrets and Lies« – dort geht es ebenfalls um Familiengeheimnisse. Wenn ich seine Filme sehe, fühle ich mich ihm sehr nahe. Als ich ihn kennenlernte, hatte ich den Eindruck, dass wir ähnliche Temperamente besitzen. Er verwendet in der Tat viel Zeit auf die Proben – bewundernswert finde ich, wie er erst daraus seine Geschichten entwickelt. Das ist heutzutage, angesichts des Drucks, der von den Produktionskosten und vom Marketing ausgeht, höchst bemerkenswert. 

Sie beide verfügen über langjährige Theatererfahrungen – erwachsen auch daraus Gemeinsamkeiten?

Ja, das hilft uns vor allem in der Arbeit mit den Darstellern.

Wo Sie gerade Schauspieler erwähnen: mit »Le passé« und »Offenes Geheimnis« haben Sie zwei Filme außerhalb des Iran gedreht, mit hierzulande bekannten Darstellern, im Fall von »Offenes Geheimnis« zwei der großen Stars des europäischen Kinos, Penelope Cruz und Antonio Banderas. Mussten Sie dafür etwas an Ihrer gewohnten Arbeitsweise verändern?

Nein, überhaupt nicht. Sie hatten meine Filme auch vorher gesehen und kannten meine Arbeitsweise. Beide waren voller Energie. 

Als ich 2013 mit Ihnen beim Filmfest München über »Le passé« sprach, erzählten Sie, dass die Menschen im Iran Probleme damit haben, die Wahrheit direkt auszusprechen und sie lieber umschreiben. Beim Ansehen von »A Hero« habe ich mich gefragt, ob das etwas ist, das sich jetzt durch die sozialen Medien geändert hat. Die spielen ja auch im Film eine wichtige Rolle.

Ich habe den Eindruck, es hat sich noch nicht viel geändert, auch wenn die Direktheit und Unmittelbarkeit der sozialen Medien langfristig zu einer Veränderung führen könnte. Es hat auf jeden Fall einen positiven Effekt, dass wir die Stimmen, die wir bisher nicht hören konnten, jetzt dank der sozialen Medien wahrnehmen. 

Sie haben diesen Film nicht in Teheran angesiedelt, sondern fernab der Hauptstadt. Gleich in der zweiten Szene bekommen wir bei den Ausgrabungen von frühen Grabstätten ein Stück alter Geschichte Ihres Landes vermittelt. Wie steht das für Sie in einem Zusammenhang mit der Geschichte, die der Film erzählt?

Die Idee, dass eine Gesellschaft sich einen Helden erschafft, ist keine neue, sondern hat eine lange Tradition. In unserer Gesellschaft gibt es einen eher nostalgischen Blick auf die Helden der Vergangenheit, die durch diese Ausgrabungen wieder zum Leben erweckt werden. 

Ist dieser Film im Iran schon in den Kinos gezeigt worden? Wie war die Reaktion des Publikums?

Ja, vor drei bis vier Monaten. Die Reaktion war – wie bei meinen früheren Filmen – gemischt, manche mochten ihn, andere nicht. Er kam allerdings auch in einer sehr speziellen Situation heraus, nach dem Ende des Lockdowns, als die Menschen im Kino nur mit Abständen und mit Masken sitzen konnten.

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