Interview: Philipp Leinemann über seinen Film »Das Ende der Wahrheit«

Philipp Leinemann. © Prokino (2018)

Philipp Leinemann. © Prokino (2018)

Herr Leinemann, gab es den einen konkreten Vorfall, der als Inspiration am Anfang der Arbeit stand, oder war es eher eine Summe von Vorfällen, aus der sich eine gewisse Tendenz ablesen ließ? 

Es gibt eigentlich kein Element, keinen Erzählstrang in dem Film, der in dem einen oder anderen Kontext nicht passiert ist. Der große Auslöser war die Praxis des BND, der in speziellen Befragungsstellen über Asylbewerber an Hintergrundinformationen und Aufenthaltsorte von Terrorverdächtigen kommen wollte. Diese Daten wurden an die CIA weitergereicht. Eine Drohne kann ein Mobilfunktelefon ziemlich exakt orten. Also stellt sich die Frage, inwieweit machen wir uns schuldig? Im Grunde gab es zu allem in dem Film eine Vorgeschichte, vieles wurde dann von der Realität eingeholt. Als ich am Drehbuch schrieb, gab es die Frage: ist das in Deutschland realistisch, ist das nicht zu amerikanisch? Irgendwann gab es dann auch hier Terroranschläge, wurden Journalisten umgebracht wie vor nicht allzu langer Zeit in Malta. Das Erschreckende war, dass es all diese Fragen plötzlich nicht mehr gab, je weiter das Buch voranschritt. Der wahre Hintergrund bezieht sich eigentlich auf Präsident Karimov von Usbekistan. Da aber so viele andere Geschichten hinzugekommen sind, haben wir uns entschieden, es fiktiv zu halten, denn letztendlich geht es um die Mechanik dahinter, dieses Spiel von Lobbyismus und Politik, die Verstrickung, in der auch der BND zu einem Spielball wird.

Bei Ihrem vorangegangenen Film »Wir waren Könige« hatten Sie für Ihre Recherchen einige Freunde in den SEK-Einheiten, von denen der Film erzählt. Wie war das diesmal beim BND? 

Schwieriger! Es war wirklich jahrelanges Recherchieren und Lesen. Ich war ein Nachrichtenjunkie, habe an die hundert Bücher gelesen. Viele Agenten, die aussteigen, sind sehr frustriert und schreiben Bücher darüber. Das war ein Zugang. Am Ende hatte ich dann ein Treffen mit einem BND-Agenten, der das Drehbuch gelesen hat, das lief über einen Kontakt von »Wir waren Könige«, der ihn als Soldat in Libyen kennen gelernt hat. Er hat bei unserem Treffen in einem Lokal am Ende die Quittung verbrannt – nicht paranoid, aber doch vorsichtig. Er fand es sehr authentisch. Lustigerweise war sogar unser eigener Außenminister bei der Premiere dabei. Er wusste wohl nicht, was für ein Film ihn da erwartet. Als ich ihn anschließend fragte, meinte er, nach zehn Minuten wusste er, dass das nicht nur ein cineastisches Vergnügen für ihn ist; er fand ihn sehr realistisch und fühlte sich sehr an seine Arbeit erinnert. 

»Wir waren Könige« war ein Ensemblefilm, während hier, trotz vieler plastischer Nebenfiguren, fast ganz aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird. 

Aus dem Sammelsurium all der Recherche eine Geschichte zu bauen, hat Jahre gedauert. Nach »Wir waren Könige« hatte ich mir eigentlich vorgenommen, nie wieder einen Film zu machen mit so einem Riesenensemble. Eine Figur, die ein Rätsel löst – am Ende war es dann doch wieder ein Gewirr von vielen Ebenen und Geschichten, die es dann zu fokussieren galt, aber, wie Alexander Fehling einmal sagte: Es geht nicht darum, alles zu verstehen, man muss den Mechanismus und wie er funktioniert aufzeigen. Und dann die Frage: warum riskiert der Protagonist alles, warum riskiert er seinen Job, das Familienleben ist schon hinüber. Da kam mir die Idee dieser Journalistin, die etwas herausfindet und ihn um Hilfe bittet. Er aber hilft ihr nicht, weil er nicht kann. Als er dann merkt, an diesem Mord stimmt etwas nicht, ermittelt er, weil er diese Frau liebte und sich schuldig fühlt. Die Figur von Ronald Zehrfeld hat einen realen Hintergrund, das Synonym heißt Gerhard Konrad, der sehr gefragt ist in dieser Region, von den unterschiedlichsten verfeindeten Gruppen, er vermittelte z.B. mehrfach einen Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah. Der BND ist in dieser Gegend mehr angesehen, als man glaubt, weil er als neutral gilt. Untereinander reden die ja nicht. Das ist der Hintergrund für diese Figur. BND-Agenten wie diese haben kein Familienleben, und sitzen das ganze Jahr im Flugzeug. Kaum ist eine Bedingung ausgehandelt, kommt die nächste. 

Ist die Konzentration auf eine einzige Figur auch ein Zugehen auf die Sehgewohnheiten der Zuschauer – mehr an Einzelfiguren orientiert? 

Du musst eine Figur haben, mit der der Zuschauer mitfiebert. Diese Figur entstand hier aus der Tatsache, dass diese Agenten paranoid sind, sie sind Einsiedler, auch innerhalb der Geheimdienste: sie teilen ihre Informationen nicht, jeder ist für sich in dieser Riesenbehörde.

Dann war Ihnen diese Konzentration auf eine Figur von Anfang an klar – oder hat sich das erst im Lauf der Arbeit am Drehbuch ergeben? 

Es gab ganz früh noch eine zweite Figur, die eines BKA-Polizisten, der gleichzeitig dasselbe herausfand – da merkte man, wie wenig die miteinander arbeiten, er kommt dem BND immer mehr auf die Schliche. Auch das hatte eine reale Grundlage: als das BKA in Deutschland einen Terroristen festnehmen wollte, verschwand der plötzlich kurz vor dem Zugriff. Das BKA unterstellt bis heute dem BND, ihn ausgeflogen zu haben. Das Problem ist, dass er später Anschläge im Ausland verübt hat, bei denen auch westliche Touristen umgekommen sind, so gesehen trägt der BND eine Mitschuld. Das ist bis heute der Vorwurf, der nicht bewiesen ist. Es hat sich dann aber im Lauf des Schreibens herausgestellt, dass diese zweite Figur schlichtweg nicht nötig war.

Es gibt einige recht drastische Szenen von Gewalt, bis hin zu einer Enthauptung. Haben Sie dabei vorher genau gewusst, was Sie zeigen wollen, oder das erst im Schnitt entschieden? 

Ich gehöre einer Generation an, die zwar nicht Gewalt selbst erlebt hat, aber mit visueller Gewalt aufgewachsen ist. Bei der Premiere in Saarbrücken habe ich mich nach links und rechts umgeschaut, und war überrascht: es gab kein Handyleuchten, keiner ging auf Toilette, die Leute guckten, aber sie guckten teilweise auch weg, es kostete sie Überwindung, vor allem die Älteren. Da wurde mir erst bewusst, wie brutal dieser Film ist – ich bin kein Freund von expliziter Gewalt, wenn sie selbstzweckhaft ist. Aber es gibt bei mir auch einen Punkt, wo ich sage, das muss ein Zuschauer aushalten, wenn es Teil der Geschichte ist und der Geschichte dient. Es gab im Schnitt Entscheidungen gegen die Gewalt, etwa die Enthauptung, die haben wir sehr früh weggeschnitten. Wir haben stattdessen die Tonspur mit diesem gurgelnden Sound dafür sprechen lassen. Auch eine Erschießung war noch expliziter, darum gab es große Diskussionen, ob man das in einer nahen Einstellung zeigen kann. Aber einen Terroranschlag wie diesen hat es gegeben, mehrmals, und ich denke, um den Schmerz und die Motivation der Figur von Ronald Zehrfeld zu verstehen, darf man das dem Publikum zumuten.

Hat bei der Besetzung des leitenden BKA-Beamten mit Axel Prahl die Überlegung eine Rolle gespielt, dass er dem Publikum vorwiegend bekannt ist als Münsteraner »Tatort«-Kommissar? Er strahlt ja auch hier eine gewisse Jovialität aus, selbst wenn er dem Publikum durch sein Auftreten von Anfang an eher unsympathisch ist. 

Ich mag eigentlich gerne Leute, mit denen sich bestimmte Sehgewohnheiten verbinden, in einer neuen Rolle entdecken und merke dann: das ist nicht leicht durchzusetzen. Wenn ausländische Regisseure hier drehen, dann sagen sie: Das ist der beste für die Rolle – Punkt. Da merkt man erst, in welchen Schubladen man hier denkt – weil wir uns nicht trauen. Ich wollte schon immer mal mit Axel Prahl drehen, ich habe mich gefreut, dass es so schnell geklappt hat. Ich sehe da nicht den »Tatort«-Kommissar, denn diese Rolle haben schon so viele deutsche Schauspieler verkörpert und dennoch gibt es so viel mehr an ihnen zu entdecken.

Sie hatten hier kaum mehr Drehtage als ein »Tatort«. Die Produzenten haben geäußert, dass es Genrefilme im deutschen Kino immer noch schwer haben und dass deshalb auch das Budget beschränkt war… 

Das ist in diesem Fall extrem schwierig gewesen, gerade für das Ergebnis, über das wir sehr froh sind. Am Ende zahlt natürlich das Team die Zeche, es klappte dann auch mal gerade so. Was funktioniert denn im deutschen Kino gut? Wenn ich jetzt etwas nicht erzählen kann, weil es für das Publikum nicht mehr funktioniert, werde ich mir untreu und verliere das, was mich dazu bewogen hat, diesen Beruf auszuüben seit ich ein kleiner Junge bin.

Hatten Sie bei diesem Film dieselben Partner wie bei »Wir waren Könige«? ZDF und arte waren als Sender wieder mit an Bord… 

Deswegen hat dieses Projekt auch so schnell einen Startschuss bekommen. Wir waren uns sicher, dass wir wieder etwas zusammen machen wollten. Es waren dieselben Fördergremien, dieselben Produzenten, Walker + Worm, derselbe Hauptdarsteller, neu hinzu kam Prokino als Verleih, die früh Interesse signalisiert hatten.

Das heißt, beim ZDF ist es wieder »Das kleine Fernsehspiel«, also Montag Nacht? Der Film würde sich ja auch gut auf dem 20.15 Uhr-Termin machen und könnte da eine ganz andere Wirkung entfalten. 

Ich glaube, sie hätten gerne 20.15 Uhr, bei »Könige« war das auch schon so. Das Problem war nur, dass es ein FSK 16-Film war. Jetzt haben wir wieder ein wenig die Sorge wegen der Gewaltszenen, so dass wir überlegen, für eine Ausstrahlung auf diesem Termin entsprechende Kürzungen vorzunehmen. Allerdings wird ja auch zunehmend die Möglichkeit genutzt, etwas individuell in den Mediatheken anzuschauen.

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