Filmfestival von San Sebastian: Alltag und Genre

»Entre dos aguas« (2018)

»Entre dos aguas« (2018). © SSIFF

Beim Filmfestival von San Sebastian siegte der spanische Beitrag »Entre dos aguas«

Argentinien im Jahr 1975. Ein Ehepaar isst in einem Restaurant. Plötzlich fummelt am Nachbartisch ein Gast mit einer Waffe herum, brüllt »Ihr Nazis«, stürmt heraus und erschießt sich auf der Straße. Es war der rätselhafteste Auftakt eines Films im diesjährigen Wettbewerbs von San Sebastian, und den mysteriösen Tonfall wird »Rojo« von Benjamin Naishtat auch weiterhin beibehalten. Der Mann ist Rechtsanwalt, er soll einem Freund helfen, ein Haus zu kaufen, dessen Bewohner verschwunden sind, ein Arbeiter wendet sich wegen ausstehender Löhne an ihn. Politisch war Argentinien 1975 instabil, ein Jahr zuvor war Perón gestorben, 1976 wird das Militär putschen. Nie wird in diesem herrlich ruhig und lakonisch erzählten Film die politische Situation in Argentinien explizit thematisiert, aber sie schwingt immer mit. 

Zwar hat »Rojo« im ansehnlichen Wettbewerb von San Sebastian keinen ganz wichtigen Preis gewonnen. Aber er konnte, zurecht, immerhin drei Auszeichnungen auf sich vereinen – was bei sieben offiziellen Preisen, die die Jury zu vergeben hatte, fast die Hälfte des Preisregens ausmachte. Naishtat gewann die Silberne Muschel als bester Regisseur, Dario Giardinetti, der Darsteller des Rechtsanwalts, wurde als bester Schauspieler ausgezeichnet, und Pedro Sotero gewann für seine ruhige Kameraarbeit, mit der er die Weite des Landes einfängt, den Preis für die beste künstlerische Einzelleistung. 

Die Landschaft spielt auch eine wichtige Rolle beim Gewinner des Hauptpreises, der Goldenen Muschel. In »Entre dos aguas« (Between two Waters) von Isaki Lacuesta kommt der Roma Isra nach seiner Haft zurück in seine Heimatstadt San Fernando an der andalusischen Küste, in der Nähe von Cadiz. Es ist eine flache Landschaft, die durchzogen ist von Flüssen und Salzsümpfen und in der einem Außenstehenden die Orientierung schwerfällt. Schwer hat es auch Isra: Seine Frau will nichts mehr mit ihm zu tun haben, und Arbeit ist für ihn in der Gegend auch nicht zu bekommen – also wird er wieder mit dem Drogenhandel anfangen. So voraussehbar manche Wendungen dieses Films sind, so authentisch hat Lacuesta ihn inszeniert, mit Laiendarstellern und in den provisorischen Behausungen der Vorstadt. 

Isras wichtigster Ansprechpartner ist sein Bruder Cheito, der ihn immer wieder vor dem Drogenhandel warnt. Und so wie »Entre dos aguas« haben auch andere Filme des Wettbewerbs ihre Geschichten gewissermaßen aus der Familie heraus erzählt. Mit »Yuli« hat die spanische Regisseurin Icaír Bollaín die Lebensstationen des berühmten kubanischen Tänzers Carlos Acosta rekonstruiert, der lieber Fußballer werden will, aber von seinem Vater zur Ballettkarriere gezwungen wird. Drehbuchautor Paul Laverty, der sonst mit Ken Loach zusammenarbeitet, gewann für diesen Film eine Silberne Muschel. Und in seinem ersten englischsprachigen Film »Beautiful Boy«, mit Steve Carrell und Shootingstar Timothée hochkarätig besetzt, erzählt der Belgier Felix Van Groeningen von einem Vater, der sich seine eigene Hilflosigkeit angesichts der Drogensucht seines Sohnes eingestehen muss. 

Die 66. Ausgabe von San Sebastian bedeutete auch die Rückkehr des Genrekinos auf die internationale Bühne eines großen Filmfestivals. So massiv hat Genrekino im weitesten Sinn noch nie einen Wettbewerb in letzter Zeit dominiert: mit Brillante Mendozas hartem Cop-Film »Alpha, The Right to Kill« (Spezialpreis der Jury), dem Horrorfilm »In Fabric« von Peter Strickland, in dem ein rotes Kleid sein Unwesen treibt, oder dem Kostümfilm »Le cahier noir« (The Black Book) der französischen Regisseurin Valeria Sarmiento. Und es gab, ebenfalls ungewöhnlich, zwei Science-Fiction-Filme. Suhlt sich der südkoreanische, nach einem populären Comic entstandene »Illang: The Wolf Brigade« von Kim Jee-won in seinen überlangen Action- und Kampfszenen, so ist Claire Denis mit »High Life« ein ungewöhnlicher Wurf gelungen. Ihre Raumstation wird bevölkert von Verbrechern, die auf dem Weg sind zu einem Schwarzen Loch. Das Interieur der Raumstation ist verfallen, die Raumanzüge sehen aus wie selbst genäht, und die Einrichtung wirkt, als hätte sie ein Designer der siebziger Jahre entworfen. Die glänzenden Oberflächen anderer SciFi-Filme interessieren Denis nicht, ihr geht es um die Selbstzerstörung einer Gruppe. 

Robert Pattinson spielt einen der letzten beiden Überlebenden der Station. Und er gehörte zu den vielen Stars, die dieses Jahr das Filmfestival in der Stadt im Baskenland besuchten, wie Juliette Binoche, Ryan Gosling, Claire Foy, Bradley Cooper oder Chris Hemsworth. Einen offiziellen Preis hat »High Life« nicht gewonnen. Aber immerhin hat ihn die Jury der internationalen Filmkritik ausgezeichnet. 

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