26. Filmfest Hamburg – Glücklich ohne Glamour

Jafar Panahis neuer Film »Drei Gesichter«

Jafar Panahis neuer Film »Drei Gesichter«

Mit nur einer einzigen Vorführung im Programm musste man bei dem Venedig-Gewinner, Alfonso Cuarons Roma, im Vorfeld einen Massenandrang erwarten, doch dem war nicht so. Da die endgültige Zusage des Rechteinhabers Netflix erst spät kam, war der Film im Katalog gar nicht zu finden, sondern nur im Festivalzentrum angekündigt. Zudem dürfte ein Zwei-Stunden-Film um 22.30 Uhr für das ältere Publikum (beim Filmfest zahlreich vertreten) nicht unbedingt ideal sein. Entsprechend blieben im größten Saal des Cinemaxx einige Plätze leer. Wer den Film über eine Familie in einem bürgerlichen Stadtteil von Mexico-City aber sah, wurde mit starken Bildern und einer konzentrierten Erzählweise belohnt, ein Kinoerlebnis auch für Netflix-Abonnenten. Als Eventfilm soll »Roma« vor seiner Abrufbarkeit auch noch in anderen Städten zu sehen sein – keine Frage, hier sind deutsche Festivals und Kinobetreiber gefordert, wie sie künftig mit dem ungeliebten Mitbewerber umgehen wollen.

Ein anderer Höhepunkt des Festivals war die Verleihung des Douglas-Sirk-Preises an den iranischen Regisseur Jafar Panahi, der in seiner Heimat Berufsverbot hat, aber es jetzt bereits zum vierten Mal geschafft hat, klammheimlich einen Film zu drehen und ihn außer Landes zu schmuggeln – Drei Gesichter kommt Ende Dezember in die Kinos. Natürlich durfte Panahi ebensowenig nach Hamburg kommen wie zur Weltpremiere nach Cannes, war aber mit einer Videobotschaft präsent. Entgegengenommen wurde der Preis von seiner in Paris lebenden Tochter, auch die Hauptdarstellerin Behnaz Jafari war gekommen – ein bewegender Moment, auch weil er sich einreiht in die Aufmerksamkeit, die das Festival seit langem dem iranischen Kino widmet, zum anderen auch in das politische Engagement des Festivals, wozu ebenso die Deutschlandpremiere von »Leto« des unter Hausarrest stehenden russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow gehörte.

Wie sich Engagement und intelligentes Erzählen verbinden lassen, bewies auch der belgische Film »Nos Batailles« (Unsere Kämpfe) von Guillaume Senez (»Keeper«). Romain Duris verkörpert einen gewerkschaftlich engagierten Vorarbeiter, dessen Leben von einem auf den nächsten Tag umgekrempelt wird, als seine Frau spurlos verschwindet. Fortan muss er betriebliches und familiäres Engagement unter einen Hut bringen. Wie der Film beide Bereiche miteinander verzahnt und das ebenso dicht wie unaufgeregt erzählt und wie alle Figuren ernst genommen werden, das fand die siebenköpfige Jury der Filmkritik preiswürdig.

Suchte man nach einem Trend in Hamburg, so waren das, ähnlich wie schon in Locarno und vermutlich auch bei anderen Festivals 2018, die selbstbewussten Frauen. Wie ein Beitrag zur aktuellen »Me too«-Debatte wirkte »Little Tickles« (Les chatouilles) von Andréa Bescond und Eric Métayer, in dem die Co-Regisseurin als Hauptdarstellerin ihre eigene Geschichte aufarbeitet: als 8-Jährige von einem Nachbarn und Freund der Familie wiederholt missbraucht, gelingt es ihr erst 20 Jahre später, das Erlebte im Tanz zu verarbeiten und ihren Peiniger anzuzeigen – gegen den hartnäckigen Widerstand ihrer Mutter.

In vielen Filmen manifestierte sich der Widerstand der Frauen in Fluchtbewegungen. Der schönste davon war für mich Anne Alix’ »Something Is happening« (Il se passe quelque chose), die ungeplante Reise zweier Frauen, die sich gerade erst kennengelernt haben, durch Südfrankreich. Wie die arbeitslos gewordene ältere Bulgarin, die gerade einen Selbstmordversuch hinter sich hat, und die quirlige Spanierin, die einen alternativen Reiseführer (»gayfriendly«) schreiben will, sich annähern und wieder voneinander entfernen, wird hier mit großer Spontaneität erzählt, hinreißend auch jene Momente, wenn die beiden auf Ein­heimische treffen, die mit großer Offenheit aus ihrem Leben erzählen.

Hamburg ist und bleibt ein entspanntes Festival, die Aufmerksamkeit gilt eher den Regisseuren als den Stars, für den Glamourfaktor stand diesmal die fast sechzigjährige Jamie Lee Curtis, die zur Deutschlandpremiere von »Halloween« gekommen war und sich als charmante Gesprächspartnerin erwies.

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