Interview mit Oliver Hirschbiegel über seinen neuen Film »Elser«

Oliver Hirschbiegel am Set von »Elser«

Sein Film »Der Untergang«, in dem er Hitlers letzte Tage im Berliner Bunker bebilderte, war so umstritten wie erfolgreich und verschaffte ihm im Jahr 2005 sogar eine Oscarnominierung als bester nichtenglischsprachiger Film. In Deutschland hat der 1957 in Hamburg Geborene bereits 2001 mit seinem Kinodebüt »Das Experiment« Furore gemacht. Davor war Hirschbiegel vor allem als Fernsehregisseur tätig, unter anderem bei mehreren Tatort-Folgen

epd Film: Warum ist Georg Elser im Gegensatz zu den Verschwörern des 20. Juli so spät in die deutsche Gedenkkultur eingegangen?

Oliver Hirschbiegel: Ich glaube, das hat etwas mit seiner sozialen Herkunft zu tun. Stauffenberg kam ja aus der Oberschicht und operierte in einem Umfeld, in dem alle mehr oder weniger zur gesellschaftlichen Elite gehörten. Ähnliches gilt für die Geschwister Scholl, die aus akademischen Kreisen heraus agierten. Elser hingegen war ein Einzeltäter, gehörte der Arbeiterklasse an – und die hat meistens keine gute Lobby. Und so wurde Elser über Jahrzehnte hinweg als versponnener Sonderling einsortiert.

Dabei hat Georg Elser schon im Jahr 1938 erkannt, dass Hitler gestoppt werden muss...

Elser war viel hellsichtiger als viele andere. Er gehört zu den wenigen, die damals schon gesehen haben, wohin der Nationalsozialismus führt. 1938 sind eigentlich alle Deutschen im Taumel. Österreich wird Teil des Reiches. Das Sudetenland wurde annektiert. Deutschland hat die modernste und schlagkräftigste Armee der Welt. Die Wirtschaft boomt. Die Autobahnen sind gebaut. Dass sich da einer hinstellt und sagt: »Das geht so nicht. Das wird das Grauen« – das ist schon bemerkenswert und hält allen, die damals die Situation nicht wahrhaben wollten, den Spiegel vor.
 

Dies ist ja nicht der erste Film über Elser. Was zeigt Ihr Film, was Klaus Maria Brandauers »Georg Elser – Einer aus Deutschland« nicht gezeigt hat?

Elsers Geschichte konnte in dieser Form bisher noch nicht erzählt werden, weil die Informationen, auf denen unser Film aufbaut, erst seit wenigen Jahren bekannt sind. Brandauers Film hat mich damals stark beeindruckt, aber Brandauer konnte nur das erzählen, was er wusste.
 

Hauptquelle sind hier wahrscheinlich die Verhörprotokolle der Gestapo. Wie vorsichtig muss man mit diesem Material umgehen?

Diese Verhörprotokolle sind erstaunlich akkurat. Das ist ja das Irritierende an diesen Leuten. Die halten schon gewisse Regeln ein. Wenn der das so sagt, dann schreiben die das auch so auf. Sätze wie »Ich bin ein freier Mensch gewesen« stehen genau so im Verhörprotokoll. Aber es gibt natürlich auch noch eine Vielzahl anderer Quellen, wie etwa die Aussagen der Familienangehörigen.

Ein historischer Spielfilm lebt von der Dramatisierung des tatsächlichen Geschehens. Wie viel Fiktion hat sich in diesem Prozess ins Faktische gemischt?

Ich wollte möglichst wahrheitsgetreu erzählen, aber an manchen Punkten weiß man eben nichts. Da muss man dann zwischen den Zeilen lesen. Wir wussten, dass der Elser die Frauen mochte und dass die Frauen ihn mochten. Es gibt viele Fotos, die zeigen, dass er seinem Äußeren große Aufmerksamkeit gewidmet hat. Seine Anzüge sitzen besser als die der anderen. Er hatte immer ein Einstecktuch im Jackett. Solche Details erzählen viel über einen Menschen. Elser war ein cooler Stenz und ein Freidenker. Er wollte raus in die Welt und Abenteuer erleben – vielleicht ein bisschen so wie die Hippies in den 60er Jahren.
 

Das Interessante an Elser ist ja auch, dass sein politisches Gewissen unabhängig von einer Ideologie oder Religion entstanden ist…

Ich würde das gar nicht unbedingt »politisches Gewissen« nennen. Elsers Überzeugung kommt aus tiefstem Inneren. Er ist der festen Meinung, dass jeder Mensch frei sein und dass jede Form von Beschneidung dieser Freiheit aufgehalten werden muss. Er handelt wertfrei und ohne Eigennutz. Er weiß, dass Hitler gestoppt werden muss, um vielen Menschen das Leben zu retten. Damit ist er der klassische Tyrannenmörder.

Wie definiert sich der Begriff des Tyrannenmörders?

Der Tyrannenmörder, so wie er in der Philosophie beschrieben wird, will den Menschen keine eigene Ideologie aufzwingen, sondern den Tyrannen ausschalten, weil der sein Volk verrät. Im Grunde ist Elser ein Seelenverwandter von Edward Snowden. Der will uns auch keine politische Idee verkaufen. Es gibt Zehntausende, die das, was Snowden weiß, wissen. Aber nur er setzt seine Existenz aufs Spiel, um dieses Unrecht anzuprangern. Solche Menschen bewundere ich zutiefst für ihren Mut.
 

Sie haben sich mit »Der Untergang« und nun mit »Elser« der Zeit des Nationalsozialismus aus zwei sehr verschiedenen Richtungen angenähert. Worin besteht für Sie die Bedeutung der filmischen Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte?

Es ist das mit Abstand grauenhafteste Verbrechen der Menschheit, das mit einer unvorstellbaren Systematik begangen wurde. Gleichzeitig hat der Nationalsozialismus eine – wie man heute sagen würde – »Corporate Identity« mit Uniformen, Signalen und Superzeichen geschaffen, denen man sich bis heute kaum entziehen kann. Das ist ein sehr intensives, negatives Energiefeld, an dem wir Deutschen nie vorbeikommen werden. Wir werden immer das Volk der Täter sein. Ich weiß, dass viele junge Leute in Deutschland damit nichts mehr zu tun haben wollen. Aber wenn es um den Tod von 60 Millionen Menschen geht, für die ein Volk verantwortlich ist, dann ist diese Verantwortung genetisch in uns drin und nicht nach sechzig oder hundert Jahren abgetragen.

...zur Filmkritik von »Elser«

Meinung zum Thema

Kommentare

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider erlaubt sich dieses Interveiw keine kritischen Nachfragen! Der Vergleich mit den Hippies ist daneben, und der unkritische-distanzlose Umgang mit Gestapo-Verhörprotokollen ("akkurat") , die unter der Folter entstanden, ist fragwürdig. Der Kern der Elser-Geschichte birgt, vermute ich, ein Geheimnis: das seiner geradezu hellsichtigen und einsamen Tat. Aufgabe und Herausforderung für jede Annäherung an Elser wäre es m.E., dieses Geheimnis nicht leichtfertig zu lüften, sondern es mit einer gewissen Demut sichtbar zu machen, es gewissermaßen als Leerstelle zu markieren. Für mich ist Johann Georg Elser so etwas wie ein Heiliger in der deutschen Volksgemeinschaft dieser Jahre. Morgen werde ich werde mir den Film anschauen und danach besser einschätzen können, ob der Regisseur dem "Geheimnis Elser" einigermaßen gerecht wird.

Beste Grüße
Ihr
Horst Meier

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