Der Preis des Ruhms

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 Eine vorläufige Bilanz des 71. Filmfestivals von Venedig

Mit der Stadt Venedig hat das hier stattfindende Filmfestival eines gemein: eine Vergangenheit, die an Glanz alles übertrifft, was in Zukunft noch kommen kann. Aber wie Venedig selbst versteht auch das Festival es bestens, den Geruch des Niedergangs in Attraktion umzuwandeln. Als Alberto Barbera in der Nachfolge von Marco Müller vor drei Jahren die Leitung des ältesten Filmfestivals der Welt übernahm, begrub er unfeierlich die grandiosen Träume auf einen neuen Palast – dessen verfehlte Planung bereits weit über 70 Millionen verschlungen hat – und verschlankte das Filmprogramm in radikaler Weise. Nicht, dass ihm viel anderes übrig geblieben wäre. Aber es zeigt sich, dass Barbera den Zwang zum Sparen tatsächlich auch dazu nutzen konnte, sich neue Freiheiten zu erobern. Wo das das Festival vor ein paar Jahren aus allen Nähten platzte, mit Nebenreihen und Sondervorführungen und sich drängenden Massen, herrscht nun ein eher beschauliches Treiben. Aber statt einer Endlosfolge von Stars auf dem Roten Teppich zuzujubeln, geht es vermehrt darum, Filme zu entdecken. Im Guten wie im Schlechten.

Eine große Entdeckung gelang der diesjährigen Ausgabe gleich zum Auftakt. Der mexikanische Dramenspezialist Alejandro Gonzales Inarritu drehte seine erste Komödie, Birdman, über einen gealterten Schauspieler in Existenz- und Schaffenskrise. Der Film mit Michael Keaton in der Hauptrolle wurde am Lido mit Enthusiasmus aufgenommen und bereits als Oscarkandidat gehandelt.

Zu den großen Enttäuschungen aber zählt leider das Epos des deutschen Regisseurs Fatih Akin über den Genozid an den Armeniern, The Cut. Die Rührung des Publikums ist dem Film zwar gewiss, von den Kritikern aber wurde er recht erbarmungslos als dramaturgisch schwache Elendsbebilderung abgekanzelt. Akins The Cut steht so auch symptomatisch für ein Festival, in dem große Erwartungen oft in großen Unmut umschlagen und es Filme leichter haben, wenn ihnen kein Ruf vorauseilt.       

Filme etwa wie Fires on the Plain vom japanischen Regisseur Shinya Tsukamoto, der bislang eher als Genreregisseur bekannt war. Mit Fires on the Plain lieferte er nun einen Kriegsfilm über die gescheiterte japanische Invasion auf den Philippinen ab, der den Abschreckungshorror des Genres auf eine neue Stufe stellt: der Film stürzt den Zuschauer in einen 90-minütigen Alptraum von Kugelhagel, Hunger und Verwesung. Die klassischen Kriegsfilmtopoi wie Tapferkeit und Kameraderie fehlen ganz; der Film zeigt das Überleben seines Haupthelden als Ergebnis einer Reihe von grausamen, traumatischen Zufällen – und das ohne je aus Tätern wie den japanischen Aggressoren des Mitleids würdige Opfer machen zu wollen. „Fires on the Plain“ ist damit zu einem starken Kandidaten auf den Goldenen Löwen aufgestiegen.

Mit seiner neuen Wendung in Schock-Ästhetik belegt Tsukamotos Film auch, dass es immer neue Formen braucht, um das abgehärtete Publikum aufzurütteln. Viele Filme des diesjährigen Wettbewerbs bewegten sich in allzu vertrauten Genremustern: Die iranische Regisseurin Rakhshan Banietemad verlies sich in ihren Tales, der von der heiklen Stellung der Frau im Iran handelte, zu sehr auf die ausgeleierte Struktur des Episodenfilms. Ähnlich verhielt es sich mit den italienischen Beiträgen Anime Nere, der in bewährt tragischer Weise von Familie und organisiertem Verbrechen erzählte, und Il giovane favoloso, der das Schicksal des bitter-pessimistischen Vorromantikers Giacomo Leopardi ein Stück zu akademisch abhandelte. Das türkische Kinder-Drama „Sivas“ wiederum setzte ganz auf Handkamera und die Verfolgung des kindlichen Protagonisten in seinem dörflich-patriarchalen Aufwachsen, konnte damit aber auch nicht als neu überzeugen. Gespaltene Aufnahme fand auch der Franzose Benoit Jacquot, der mit seiner Dreiecksgeschichte 3 Coeurs ganz bewusst das Rad der Liebesfilme nicht neu erfand.  

Zu den Festivallieblingen dagegen zählt der neue Film des Schweden Roy Andersson, der in A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence  im Grunde dasselbe macht, wofür er vor 14 Jahren mit Songs From The Second Floor bekannt wurde: eine Reihe von hochartifiziell inszenierten, aber stets launigen Szenen zusammenzustellen, die in der Summe etwas über das Menschsein aussagen.

Weitere Favoriten, und damit auch mögliche Kandidaten für den Goldenen Löwen aber sind David Oelhoffens Loin des Hommes und Joshua Oppenheimers The Look of Silence. Beide Filme stehen im Kontext des in diesem Jahr sehr stark vertretenen Kriegsthemas, und gehen ganz unterschiedlich damit um. Wo Oelhoffen nach einer Albert-Camus-Vorlage die Wirren des Algerienkonflikts in der Form eines Western-Männerdramas neu erfahrbar macht, setzt Oppenheimer die einmaligen Mittel des Dokumentarfilms ein, nicht nur über Reden, sondern vor allem auch über Schweigen und Verstummen die Schrecken eines Genozids nachzuzeichnen.  Ob Goldener Löwe oder beste Regie – eine Auszeichnung scheint The Look of Silence sicher.

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