Kritik zu Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt

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Axel Brüggemann besucht Wagnerianer auf der ganzen Welt, von denen einige sich nicht umsonst als »Heavy-Metal-Fans der Klassik« bezeichnen 

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»Er war ein scheußlicher Mensch, der himmlische Musik gemacht hat«, so habe sein Vater ihm als kleinem Jungen erklärt, wer Richard Wagner ist, erinnert sich Jonathan Livny in Tel Aviv. Livnys Vater hat den Holocaust überlebt, weil er frühzeitig aus Deutschland nach Palästina geflohen war. Seine Liebe zu Wagner hat er dabei nie verloren. Die hat auch sein Sohn geerbt, der, inzwischen selbst betagt, den Richard-Wagner-Verband Israel gründete und darauf besteht, sich seinen Musikgeschmack nicht davon diktieren zu lassen, was Hitler mochte oder nicht mochte. Livny erzählt bewegt, wie sein erster Besuch in Bayreuth für ein Schaudern sorgte. Er ist einer der zahlreichen Wagnerianer, die Axel Brüggemann für seinen Dokumentarfilm von Riga über Venedig bis Tokyo und Abu Dhabi aufgetan hat. 

In den 98 Minuten erfährt man vor allem etwas über die Wirkung, die Wagners Werk bis heute hat. Weltweit sind Menschen dieser Musik verfallen und verwenden viel Lebenszeit und Geld darauf, sie live genießen zu können. Einige der Eingeschworensten sind, das mag überraschen, zu entwaffnender Selbstironie fähig und bezeichnen sich als »Heavy-Metal-Fans der Klassik« oder gleich als Selbsthilfegruppe.

Ausführlich zu Wort kommt auch der amerikanische Musikkritiker Alex Ross, dessen Mammutwerk »Die Welt nach Wagner« über den Einfluss des Künstlers auf die Moderne gleich bei Erscheinen vor einem Jahr zum Standardwerk wurde und der hier einige erhellende Bezüge etwa zur Gegenwartskultur und zum Kino herstellt.

Festivalleiterin Katharina Wagner ist ebenso dabei wie Plácido Domingo und diverse renommierte Solist:innen und Musiker:innen. Am lebendigsten sind die Szenen mit Dirigent Thielemann und den Musikern im Orchestergraben, die wegen der Hitze oft in T-Shirts und kurzen Hosen spielen (»man schwitzt sehr«), während oben das Publikum in Festtagskleidung sitzt. 

Einen gewichtigen Teil des Films nehmen aber auch Wagners Antisemitismus und die Vereinnahmung Bayreuths durch die Nazis ein. Regisseur Barrie Kosky, von Katharina Wagner persönlich eingeladen, die »Meistersinger von Nürnberg« zu inszenieren, erzählt sehr deutlich, welch große Probleme er mit Wagner und dieser Oper im Besonderen hat. Kosky hat eine differenzierte, aber klare Haltung: für ihn sei der politische Mensch (und damit der Antisemit) nicht von den Stücken zu trennen, aber das heiße nicht, dass man die Stücke nicht spielen könne.

An einer Stelle blättert die Hotelleiterin im Gästebuch, in dem sich die Festivalgeschichte in all ihren Facetten widerspiegelt, an anderer begleitet die Kamera den Wachtdienst auf seinen Touren durch das winterlich verlassene Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Für heitere Momente sorgt das Ehepaar Rauch, das im Ort eine Metzgerei betreibt und das Treiben hautnah miterlebt, was vor allem Frau Rauch auf ganz eigene bodenständige Art im Dialekt kommentiert. So ergibt sich mit der Zeit auch ein Bild eines fränkischen Kaffs, das komplett auf Wagner ausgerichtet ist, eine Art »Disneyland«, wie es Ross nennt. Der Schluss gehört dann auch Metzgerin Rauch, die über die Festspiele .sagt: »Ich bin stolz, dass wir die haben, weil sonst wär ma goa nix.«

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