Kritik zu Unsere kleine Schwester

© Pandora

2015
Original-Titel: 
Umimachi Diary
Filmstart in Deutschland: 
17.12.2015
L: 
128 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Die Geschichte einer glückenden Familienzusammenführung und zugleich die Chronik einer kleinen Stadt: Hirokazu Koreeda hat einen Manga als atmosphärisch-stimmungsvolle Hommage an Yasujiro Ozu verfilmt, Melancholie mit eingeschlossen

Bewertung: 5
Leserbewertung
5
5 (Stimmen: 1)

Röcke, die im Wind flattern, Schneeflocken, die durch die Luft tanzen, Regenschleier, die sich über die Bilder legen, Herbstlaub, das von einer Brise davongetragen wird, aber auch die geduldige Aufmerksamkeit in den Augen der Frauen und ihr sanftes Lächeln: Eine wundersame Schwerelosigkeit herrscht im neuen Film von Hirokazu Koreeda, fast so, als würde seine Kamera das Universum der vier jungen Frauen, von denen er erzählt, mit ihren Blicken nur sanft umschmeicheln. Kaum zu glauben, dass die Geschichte, die hier erzählt wird, auf einem Manga basiert, »Umimachi Diary« von Akimi Yoshida.

Wie schon in »Nobody Knows«, in dem Koreeda vier kleine Kinder dabei begleitete, wie sie sich mitten in Tokio alleine durchschlagen müssen, oder zuletzt in »Like Father, Like Son«, in dem zwei Familien damit ringen, dass ihre sechsjährigen Söhne im Krankenhaus vertauscht wurden, geht es auch hier um große menschliche Dramen, die sich aber erst langsam materialisieren. Unaufdringlich klinkt sich der Film in den Alltag der drei jungen Frauen ein, die ohne ihre Mutter in einem großen traditionellen japanischen Holzhaus in einem dicht bewachsenen Garten in Kamakura, 50 Kilometer außerhalb Tokios, zusammenleben. Als sie vom Tod ihres Vaters erfahren, der die Familie vor vielen Jahren verlassen hat, fahren sie zu seiner Beerdigung und lernen dort ihre kleine Halbschwester Suzu kennen. Spontan lädt die Älteste sie bei der Abfahrt des Zuges am Bahnhof ein, bei ihnen zu leben, ein Angebot, das die Dreizehnjährige gerne annimmt, um alsbald wie eine feine Sommerbrise einzuziehen.

So wie die Kinder in »Nobody Knows« ihrer äußeren Not zum Trotz in ihrem liebevollen Miteinander und einem lebensbejahenden Humor aufgehoben waren, sind es nun auch die Schwestern. Während ihre abwesende Mutter innerlich verhärtet ist, sind die Mädchen in ihre geschwisterliche Gemeinschaft eingebunden. Dabei stößt Suzus rücksichtsvolle und bedachte Anwesenheit einen sanften Verarbeitungsprozess an, der wie die Ringe um einen ins Wasser gefallenen Stein immer weitere Kreise zieht und auch Mutter und Großmutter einbezieht. Wie schon in »Like Father, like Son« geht es auch hier um die Nachwirkungen eines Ereignisses in den betroffenen Familien. Ganz beiläufig entstehen Gespräche, werden Erinnerungen ausgetauscht, die sich an Sinneswahrnehmungen entzünden, etwa dem Geschmack von Shirasu (winzige Babysardinen) auf Toast oder von Pflaumenwein, der mit den Früchten aus dem eigenen Garten angesetzt wird.

Ein Hauch von Ozu liegt über den Bildern. In der Ruhe und dem Ernst, in dem sich dieses Tagebuch behutsam entfaltet. Und in der Anmut der vier Schauspielerinnen, die die Schwestern spielen, wobei Haruka Ayase als Darstellerin der Ältesten immer wieder verblüffend an Ozus Muse Setsuko Hara erinnert. Auch die Küstenstadt Kamakura ist Ozu-Territorium, er hat hier gedreht und ist auch hier begraben. Die Kamera von Mikiya Takimoto, der zuvor schon »Like Father, Like Son« gefilmt hat, drängt sich nie aufdringlich dazwischen. Kaum merklich gleitend ist sie immer in Bewegung und wahrt bei aller Nähe auch einen respektvollen Abstand. Augenblicklich fühlt man sich auch als Zuschauer wohl in der Gegenwart der Schwestern, genauso herzlich aufgenommen wie die kleine Suzu, eingebunden in den Rhythmus der Jahreszeiten von der Frühlingskirschblüte über Sommerernte und Herbstfarben bis hin zur Winterkälte, in den Ablauf täglicher Verrichtungen, darunter die Zubereitung der gemeinsamen Mahlzeiten, das Teetrinken, das Geplauder und Gezanke der Schwestern. »Sie streiten zwar, aber wenn es drauf ankommt, sind sie sich einig«, erklärt eine der Schwestern Suzu einmal. Dabei bahnen sich große Gefühle und tiefe Wunden ihren Weg zwischen das Offensichtliche, in lauter kleinen großen Momenten, zum Beispiel wenn sich die drei Älteren liebevoll über ihre leicht betrunkene, schlafende Schwester beugen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sich in ihrem Gesicht erkennen.

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