Kritik zu The Trouble With Being Born

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Regisseurin Sandra Wollner erzählt von einem Androiden, der in die Rolle einer verschollenen Tochter und eines vor Jahrzehnten verstorbenen Bruders schlüpft. Was macht uns zu Menschen und was bedeuten Erinnerungen? 

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Ein Film wie ein Störgeräusch, von der ersten Sekunde an. Undefinierbare Stimmen sind zu hören, ein mechanisches Fiepsen, das von zirpenden Grillen abgelöst wird. Aus einem Wabern heraus schält sich die Dunkelheit eines Waldes, Gewusel aus Licht und Schatten, beinahe haptisch, betörend, beängstigend. »Die Grillen sind so laut, dass ich nicht mehr schlafen kann«, sagt eine brüchige Mädchenstimme aus dem Off. Die Kamera (großartig: Timm Kröger) schleicht durch das Unterholz, gleitet als eigene Instanz durch den Raum, vorwärts, seitwärts, und findet einen am Pool liegenden Mann.

Georg (Dominik Warta) heißt der Mann, den die zehnjährige Ellie (Lena Watson) Papa nennt. Doch weder ist er ihr Vater, noch ist Ellie ein Mädchen. Sie ist – und das ist die verstörende Grundprämisse von Sandra Wollners überhaupt nicht nach Science-Fiction aussehendem Film – ein Android, eine künstliche Ersatztochter für den Mann in seinem Luxushaus am Waldrand. Mit ihrem zu glatten Gesicht und den perückenhaft-perfekten Haaren schenkt sie ihm quasi-töchterliche »Liebe«. Sie klebt an ihm und spult Erinnerungen ab wie »Du riechst wie immer, nach Zigaretten und Sonnencreme«. Es ist eine perverse Beziehung, denn für Georg ist sie auch das Objekt der Begierde.

Was die österreichische Regisseurin in »The Trouble With Being Born«, ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, auffährt, ist stilistisch bravouröses Assoziationskino. Was macht uns zu Menschen und was bedeuten Erinnerungen? Mamoru Oshiis Animeklassiker »Ghost in the Shell« und Alex Garlands »Ex Machina« schauen um die Ecke, ebenso Yorgos Lanthimos Film »Alpen«, der von einer Truppe handelte, die dienstleistungsmäßig in die Rollen Verstorbener schlüpft. 

Wollner generiert daraus ein ganz eigenes, konzentriert-sperriges Drama, das sich im Kern mit den dunklen Seiten der Institution Familie auseinandersetzt. Auch in der Familie der einsam in einer Plattenbauwohnung lebenden Frau Schikowa (Ingrid Burkhard) gibt es nie verheilte Risse. Und auch hier eine Dissonanz, denn Ellie nimmt nach einer Flucht und einer Neuprogrammierung die Rolle des vor 60 Jahren verstorbenen Bruders der alten Frau ein. 

Ihr sei es um die »Visualisierung unserer inneren Geister« gegangen, erklärte die Regisseurin im Directors Talk auf der Berlinale, wo ihr Film in der Encounters-Sektion den Spezialpreis der Jury erhielt. Projektionsfläche für diese Geister ist Ellie: dieses herumstreifende Wesen, in dem sich familiäre Perversionen und Brüche manifestieren. Dass sie in diesem zwischen Realität und assoziativen Montagen fließenden Film zu einer Art Wiedergängerin wird, ist eine weitere eindrückliche Idee. 

»The Trouble With Being Born« ist maximal produktive Verstörung, ein audiovisuelles Ereignis, streng, flirrend, in alle Richtungen offen. Nicht die Technik, verkörpert durch Ellie, ist pervers, sondern der Mensch, der sich nach Reinactments, nach einem Leben in der Fiktion, sehnt. Auf Ellies Pullover steht: Nature is the future.

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