Kritik zu Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?

© Salzgeber

Mohammad Shawky Hassan eröffnet mit popkulturellen Referenzen einen von Klischees befreiten Blick auf das Leben homosexueller Männer in der arabischen Welt

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Es beginnt wie in einem Märchen. Es war einmal . . . eine Geschichte aus 1001 Nacht. Der junge Mann, von dem die Scheherazade des 21. Jahrhunderts erzählt, aber ist homosexuell und hat sich mit seinem Vater überworfen, weil er nicht heiraten wollte. Nun treibt er durch eine Welt aus kurzen, intensiven Begegnungen. Leidenschaft und Liebe sind ständig im Fluss. Ein Gespräch während einer Party, ein Kuss auf dem Dancefloor, ein zufälliges Treffen am Strand, immer wieder eröffnen sich für den namenlos bleibenden jungen Mann und all die anderen Männer in seinem Umfeld neue Möglichkeiten. Aus einer zeitgemäßen Märchenüberschreibung wird ein Geflecht von Geschichten und Gesängen, das versucht, die polyamoröse Wirklichkeit arabischer Homosexueller jenseits aller Klischees einzufangen.

Schon in den ersten Sätzen der Erzählerin deutet sich an, wie eng Vergangenheit und Gegenwart, Poesie und Pop, Kunst und Alltag in »Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?« miteinander verknüpft sind. Das Langfilmdebüt des in Kairo geborenen und in Berlin lebenden Filmemachers Mohammad Shawky Hassan ignoriert die sowieso nur fiktiven, also willkürlich von Menschen gezogenen Grenzen zwischen ihnen. In seinem filmischen Porträt queeren Lebens in der arabischen Welt gehen Reminiszenzen an klassische, hocharabische Dichtungen direkt in populäre ägyptische Songs über. Von Erinnerungen an Fernsehverfilmungen der Märchen aus 1001 Nacht geprägte Green-Screen-Aufnahmen stehen neben Clubszenen wie aus einem Musikvideo. Kleine animierte Episoden, die von einem schwulen Wassermann erzählen, treffen auf bekenntnishafte Monologe, die die Darsteller direkt in die Kamera sprechen. So entsteht eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die weit mehr ist als nur eine stilistische Spielerei mit möglichst vielen popkulturellen Verweisen. Sie fängt eine Lebenswelt ein, in der Homosexuelle entgegen westlichen Vorstellungen längst nicht nur Opfer und Unterdrückte sind.

Hassans Figuren leben ihr Leben, was eben auch bedeutet, dass sie so lieben, wie sie lieben, mit all den Konflikten, die das mit sich bringt. Der zentrale Konflikt für den jungen Mann und all die anderen liegt in der Frage, wie offen Beziehungen sein können. Die Sehnsucht nach Freiheit kollidiert mit der Sehnsucht nach Stabilität auch in der Liebe. Für diesen Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt, finden Hassan und sein Kameramann Carlos Vasquez immer wieder neue (Gruppen-)Bilder. Mal sind die Liebenden und Begehrenden einträchtig vereint, mal offenbaren sich in dem Arrangement der Körper Abhängigkeiten und die Verletzungen, die sie nach sich ziehen. Jedes dieser Bilder, in denen neben arabischer (Pop-)Kultur auch Anklänge an die queere Avantgarde der 1960er und 70er Jahre mitschwingen, strahlt etwas Mitreißendes aus. Hassan erfüllt hier die Idee von Camp als widerständiger Kunst mit neuem Leben. Doch diesmal weicht die Ironie, das augenzwinkernde Spiel mit dem Kitsch, einem tiefen Ernst.

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