Kritik zu She, a Chinese

© Camino Filmverleih

2009
Original-Titel: 
She, a Chinese
Filmstart in Deutschland: 
04.02.2010
L: 
102 Min
FSK: 
12

Eine junge Frau und ihr Weg vom chinesischen Dorf in die Stadt in den Westen – der vierte Spielfilm der Schriftstellerin und Regisseurin Guo Xiaolu

Bewertung: 4
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Guo Xiaolu, Jahrgang 1973, verließ mit 18 ihr Heimatdorf in der Provinz, studierte an der Filmakademie in Peking und zog 2002 nach London. Sie war bereits bekannt als Schriftstellerin (»Stadt der Steine«), bevor sie zur Regisseurin avancierte, und hat vier Spiel- und fünf Dokumentarfilme gedreht. »She, a Chinese« gewann im vergangenen Jahr den Goldenen Leoparden auf dem Filmfestival von Locarno sowie den Drehbuchpreis auf dem Filmfest in Hamburg. Für den Schnitt verantwortlich zeichnet der Engländer Andrew Bird, der unter anderem für seine Kooperation mit dem Regisseur Fatih Akin bekannt ist. Dessen Produktionsfirma betreut den nächsten Spielfilm von Guo Xiaolu, die Verfilmung ihres im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschienenen Romans »Ein Ufo, dachte sie«.

Als identitätsstiftende Signatur klassifiziert der Titel ihres aktuellen Films nüchtern seine Hauptfigur, die durch einen beschwerlichen Alltag stromert: Sie ist weiblich und Chinesin. Geschlechts- und nationale Zugehörigkeit setzen einem souveränen Lebensentwurf Grenzen. Die junge Mei lebt auf dem Dorf. Von Landlust keine Spur. Sie arbeitet in einem Billardsalon, stochert auf der Müllhalde mit ihrem Vater in dem Abfall der Konsumgesellschaft nach Verwertbarem oder streitet sich mit ihrer Mutter. Abwechslung von der Tristesse bieten die Jungs, die ihr begegnen. Einer nimmt sie mit ins Grüne, wo in einer beiläufigen Szene Tradition und Moderne aufeinanderprallen: Das Paar beobachtet auf einem Feldweg einen Bauern mit seinem Vieh. Wenig später lässt es sich vor den Baustellen mit in den Himmel zielenden Kränen im Gras nieder. Sex im Austausch für Nähe – das funktioniert begrenzt. Dem einen Mann schwatzt Mei erst den iPod ab und erwehrt sich dann seiner fordernden Hände. Ein anderes Mal kommt sie nicht glimpflich davon: Ein Lastwagenfahrer lädt sie ins Kino ein und vergewaltigt sie auf dem Weg dorthin.

Mei verlässt die Provinz und geht auf Wanderschaft; zuerst in die nächstgrößere Stadt. Dort reicht die Fantasie des Kulturbeamten, eines Hobbyfotografen, den ihr die Mutter als Perspektive für eine prosperierende Zukunft ans Herz gelegt hat, nicht viel weiter als bis zu Schnappschüssen in seinem Fotostudio vor wechselndem Leinwandpanorama. »Mehr Farbe«, wünscht sich die junge Frau, als er ihr anbietet, sie vor der Silhouette New Yorks abzulichten. Ihr undefinierter Fluchtpunkt liegt woanders.

In Meis stoischer Haltung, ihrer spröden Verweigerung, erscheinen wie eine entfernte Reverenz die Vagabundin aus dem französischen Film »Vogelfrei« von Agnès Varda von 1985 und die Heldinnen im Autorenfilm europäischer Regisseurinnen der sechziger Jahre. Die Flaneurin bei Varda, die erfroren in einem Straßengraben endet, nimmt sich die Freiheit, aus dem bürgerlichen Alltag der westlichen Gesellschaft auszusteigen. Mei dagegen stellt bei ihrer Ankunft in London fest, dass sie ohne ein Bankkonto nicht existieren kann, und schafft pragmatisch Abhilfe. Ein Gefühl der Sicherheit erfährt sie nur kurze Zeit, Momente des Glücks sind rar; die Enttäuschungen überwiegen: Aber Mei ist eine Überlebenskünstlerin, die immer weiterzieht.

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