Kritik zu Rheingold

© Warner Bros. Pictures

2022
Original-Titel: 
Rheingold
Filmstart in Deutschland: 
27.10.2022
L: 
140 Min
FSK: 
16

Fatih Akin hat den biografischen Roman »Alles oder Nix« des Rappers Giwar Hajabi alias Xatar verfilmt – als Aufstiegsgeschichte eines Gangstas

Bewertung: 3
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Wirklich ernst nehmen kann man »Rheingold« nicht. Was ist das für ein überdrehter, an vielen Stellen halb garer, dabei aber über einen Großteil der Laufzeit von satten 140 Minuten doch unterhaltsamer Film. »Aus unpassenden Tönen werden die schönsten Melodien«, heißt es einmal. Wenn auch »schön« im klassischen Sinne nicht wirklich auf »Rheingold« zutreffen mag, bringt Fatih Akin so viel Unterschiedliches zusammen, dass man sich wundert, wie daraus ein Film werden konnte: Geflüchtetendrama trifft Akin'sche Bonner-Platte-»Good Fellas«-Variante trifft Heist-Movie trifft Musikerfilm trifft ein bisschen Nibelungensage.

Das Verrückte: Die Geschichte, die Akin, finanziell ausgestattet wie kaum ein zweiter Regisseur in Deutschland, als Jahrzehnte und etliche Länder umfassendes Epos erzählt, hat sich in groben Zügen wie geschildert ereignet. »Rheingold« basiert auf dem autobiografischen Roman »Alles oder Nix« von Giwar Hajabi alias Xatar.

Der 1981 im Iran geborene Hajabi und seine Eltern wurden im Irak als Teil der kurdischen Minderheit vom Regime Saddam Husseins festgenommen und gelangten später über Paris nach Bonn. Hajabi, dessen Vater Komponist ist, lernte Klavier, kam mit Hip-Hop in Berührung, hatte mit Drogen zu tun und zog deshalb nach London. 2009 wurde er zu acht Jahren Haft verknackt, weil er mit Komplizen, verkleidet als Polizisten der Steuerfahndung, Schmuck und Zahngold im Wert von rund 1,7 Millionen Euro aus einem Werttransporter aus Nürnberg erbeutet hat. Er kam aber nach fünf Jahren wieder raus. Heute ist der bullige Mann bekannt als Kopf hinter dem Label »Alles oder Nix Records«, das Rapper wie SSIO oder Schwesta Ewa unter Vertrag hat. Für seine eigenen Alben hat er Songs während der Haft in ein Diktiergerät eingerappt. »Was für eine irre Biografie!«, muss sich auch Akin gedacht haben. 

»Rheingold« beginnt in einem irakischen Knast und zeichnet, in der Zeit hin und her springend mit Hajabi als Erzähler, dessen Weg nach. Bei Akin ist schon Hajabis Geburt ein Knall: Die Mutter bringt ihn in einer Höhle inmitten des Krieges allein zur Welt und gibt ihm seinen Namen, der übersetzt so viel heißt wie »Im Leid geboren«. Uff! Nach einer Odyssee kommt die Familie über Paris nach Bonn, wo sich der Vater später als Komponist verdingt, seine Frau und die beiden Kinder verlässt und für Hajabi eine Aufsteigergeschichte als Kleinkrimineller beginnt. Erste Hehlerware: illegal kopierte Pornos auf VHS-Kassetten an die pubertierenden, gutbürgerlichen Klassenkameraden verticken.

Das ist alles sehr kleinteilig und dennoch flott inszeniert, wobei im Film einige (entscheidende) erzählerische Fäden beinahe schon hemdsärmelig mit abgefrühstückt werden, um dem, was dem Regisseur sichtlich Spaß macht, mehr Zeit zu widmen: der Jugendzeit in Bonn, in der Hajabi zum stadtbekannten Dealer aufsteigt, jene Episode in Amsterdam – im Film ist es nicht London –, in der er sich als Türsteher einen Namen macht und für den patenähnlichen Onkel eines Freundes aktiv wird. »Amsterdamned!« Und vor allem dem Coup auf das Zahngold, der im Film genussvoll dargeboten wird.

»Rheingold« ist also weniger die zu erwartende Musikerbiografie als vielmehr ein episodenhaft daherkommender, augenzwinkernder Gangsterfilm über einen Typen, der nebenbei auch ein bisschen Musik macht. Anders: Es wirkt, als habe der cinephile Akin alle Filme und Genres, die er mag, in einen Film packen wollen. Und das mit jenem liebevollen Blick auf migrantisch geprägte Milieus, der den Hamburger seit jeher, seit seinem stark von Martin Scorsese inspirierten Debüt »Kurz und schmerzlos«, auszeichnet. Emilio Sakraya schiebt sich überzeugend mit Glatze und Schnauzbart im Türsteher-Look wie die Milchbubiversion von Tom Hardys »Bronson« aus Nicolas Winding Refns gleichnamigem Film durch das Geschehen.

Im autorenfilmisch geprägten Œuvre des Regisseurs wirkt »Rheingold«, wenn man so will, wie dessen Hollywoodgroßproduktion. Sicherlich ein Film, der auch viele Akin-Fans vor den Kopf stoßen wird, der aber in seiner Sprunghaftigkeit und den bis auf seine Mutter arg reaktionär gezeichneten Frauenfiguren selbst etwas von einem Gangsta-Rap-Song hat. Eine so überkandidelte wie unterhaltsame Jungsfantasie eben.

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