Kritik zu Piaffe

© Salzgeber

Eine Frau übernimmt den Tonmeisterjob ihrer Schwester und entdeckt eine ganz neue Welt und neue Ausdrucksweisen für sich

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Eine Reiterin in Uniform und ein Dressurpferd, das auf der Stelle tritt, ein paar Sekunden nur, die sich auf einer Leinwand wiederholen, immer wieder, ohne Ton. Am Boden liegen mehrere flache Kisten, eine mit Sand, eine andere mit Stroh. Dazu Schuhe, Werkzeuge – und Aufnahmegeräte. Zaghaft schlüpft Eva ­(Simone Bucio) mit den Händen in ein Paar Lederschuhe, ahmt kniend im Sandkasten vor sich Schritte nach, den Blick dabei auf die Bewegungen des Pferdes auf der Leinwand gerichtet. Schließlich legt sie sich eine Metallkette um den Hals, kaut darauf herum wie auf einem Pferdegeschirr. 

»Piaffe« nennt sich in der Dressur dieser elegante Trab auf der Stelle, nach dieser Figur hat die 1979 in Tel Aviv geborene und in Berlin lebende Regisseurin und Künstlerin Ann Oren auch ihr Langfilmdebüt benannt. Und es dauert eine Weile, bis man sich in ihre eigenwillige Welt einfindet, ganz ähnlich der introvertierten Eva, die Zeit braucht, ihre Rolle zu finden. Den Job der Geräuschemacherin übernimmt sie von ihrer Schwester Zara (gespielt von Simon[e] Jaikiriuma Paetau), die nach einem Nervenzusammenbruch in einer Anstalt ist. 

Evas erste Resultate für einen Werbeclip für ein Beruhigungsmittel werden vom Regisseur brüsk abgelehnt. Der Sound klinge wie eine Maschine, sie solle rausgehen, in die richtige Welt. Und das tut sie, fährt zu einem Gestüt, wo sie einem echten Pferd begegnet und von dem Tier fasziniert ist. 
Eva ahmt es nach, zunächst tonal für den Film, dann mehr und mehr auch in ihrem Alltag. Im Technoclub etwa ist sie zunächst unsicher und ungelenk, bis sie sich – an die Piaffe denkend – langsam auf der Stelle zu bewegen beginnt, einen Ausdruck für sich findet. Und irgendwann bildet sich an ihrem Steiß ein kleiner Bürzel, der sich zum Pferdeschweif auswächst. Und mit dem auch Evas sexuelles Begehren erwacht. Sie fühlt sich zum Botaniker (Sebastian Rudolph) hingezogen, der seltene Farne beobachtet. Mit ihm beginnt sie eine SM-Beziehung, in der sie sich hingebungsvoll führen lässt. Ein Spiel, das sie bei aller Unterwerfung stets unter Kontrolle hat und das ihrer Selbstfindung dient.

Oren studierte an der School of Visual Arts in New York, bevor sie 2015 für ein Stipendium am Künstlerhaus Bethanien nach Berlin zog. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen Performance, Videokunst und Experimentalfilm. Wie bei ihrem preisgekrönten Kurzfilm »Passage« drehte sie nun erneut auf 16 mm, was dem Film etwas fast physisch Greifbares verleiht, bei Mensch, Tier und Pflanzen, die sie oft in Großaufnahmen ebenbürtig inszeniert. Ein transgressives Vexierspiel und eine hochartifizielle Reflexion über queere Identität und sexuelle Selbstbestimmung, die bei der Uraufführung im Wettbewerb von Locarno das cinephile Publikum begeisterte, aber auch einige ratlos zurückließ. In seiner irritierenden Schönheit ist »Piaffe« jedenfalls ein Unikum im deutschen Kino und unbedingt eine Entdeckung wert.

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