Kritik zu Oray

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Von den Schwierigkeiten, den Glauben und das Weltliche in Einklang zu bringen: Akif Büyükatalay erzählt in seinem Debütfilm mit nüchternem Blick von einem aufgeladenen Konflikt

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Talaq« lautet das Wort, an dem Mehmet Akif Büyükatalay sein Langfilmdebüt »Oray« aufhängt. Der gleichnamige Titelheld brüllt es gleich dreimal hintereinander wütend auf die Mailbox seiner Frau Burcu (Deniz Orta). Damit bringt er eine Entwicklung ins Rollen, die er selbst zunächst nicht wahrhaben möchte, ja sogar zu ignorieren versucht, denn »talaq« ist die islamische Scheidungsformel. Worte haben in religiösen Kontexten bekanntermaßen große Kraft. Als gläubiger und praktizierender Muslim jedenfalls wird sich Oray (Zejhun Demirov) dem Urteil des Imams beugen: »Nach islamischem Recht müsst ihr jetzt für drei Monate getrennt leben.«

Das ist die Ausgangssituation dieses starken Debüts, das auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino Premiere feierte und dort von der Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet wurde. Hauptdarsteller Zejhun Demirov erhielt für sein Spiel überdies den Götz-George-Nachwuchspreis beim First Steps Award.

»Oray« ist einer jener Filme, die es in Zeiten von populistischer Schwarz-Weiß-Malerei mehr denn je braucht: ein nüchterner, beinahe dokumentarischer Film, der einen differenzierten Blick in einen aufgeheizten Diskurs bringt. In naturalistischen Bildern zeigt Büyükatalay, dass eine strengere Auslegung des Islams, ein Leben im Glauben, nicht gleich Dschihad bedeutet. Einmal spielt der Film sogar sehr direkt mit solchen Assoziationen, wenn Oray und seine Glaubensbrüder »bewaffnet« durch ein Paintball-Areal hetzen und sich anschließend mit Schutzmasken vermummt in Gruppenpose fotografieren lassen, wie sie im Terrorismus ikonographisch geworden sind.

Es ist eine Welt mit eigenen Regeln und Werten, die Büyükatalay mit neutralem Blick in ihrer Komplexität einfängt. Im Kern erzählt »Oray« von den Schwierigkeiten, den Glauben und das Weltliche in Einklang zu bringen. Gewissheiten gibt es weder hier noch dort. »In Hagen hat man gesagt, Boxen ist haram« (haram=verboten), erklärt Oray einmal dem Imam Bilal (Cem Göktaş), dessen Gemeinde er sich während der Zwangspause nach seinem Umzug von Hagen nach Köln anschließt. Alles ist eine Frage der Auslegung, in Köln ist Boxen erlaubt.

Oray engagiert sich in der neuen Männergemeinde, findet Freunde und fängt an zu predigen. Als Burcu ihn in Köln besucht, ist klar, dass die beiden sich nach wie vor lieben. Und damit landet Oray endgültig in einem moralischen Dilemma, denn Bilal ist der Auffassung, dass das dreifache Aussprechen von »talaq« nicht nur eine Pause, sondern die Scheidung zur Folge haben muss.

Wie Susan Gordanshekan, die in ihrem Debüt »Die defekte Katze« unaufgeregt von einer arrangierten Ehe erzählte, überlässt auch Büyükatalay das Urteilen dem Zuschauer. »Oray« ist ein sozialrealistisches Kino der Zwischentöne, fernab von lautem Culture Clash und Problemfilm-Duktus. Am Ende verschwindet Oray in der Unschärfe, nachdem er eine seiner beiden Lieben aufgegeben hat.

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