Kritik zu Nowhere Special

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In Uberto Pasolinis leisem Drama sucht ein todkranker Vater ein neues Zuhause für seinen kleinen Sohn

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Filme über todranke Menschen stellt man nicht nur als Kritiker instinktiv unter Kitschverdacht. Zu leicht scheint es, damit einen Publikumsnerv zu treffen, vorzugsweise die Tränendrüse. So gesehen gelingt Uberto Pasolini ein doppeltes Kunststück, denn in »Nowhere Special« kombiniert er das Motiv des nahenden Todes sogar noch mit dem ungewissen Schicksal eines kleinen Kindes – zu einem Film von selten gewordener Zurückhaltung und Sensibilität in der Schilderung tragischer Schicksale. Zutiefst berührend, aber nie rührselig.

Es geht in »Nowhere Special« um den Mittdreißiger John, einen Fensterputzer aus Belfast, der seinen dreijährigen Sohn Michael praktisch seit der Geburt allein großzieht. Doch John hat einen Hirntumor, ihm bleiben nur noch wenige Monate. Seit dieser Diagnose sucht er mit behördlicher Unterstützung nach passenden Adoptiveltern für seinen Sohn. »Passend«, das merkt man auch als Zuschauer sehr schnell, ist ein Begriff, der sich so leicht dahersagt, den mit Bedeutung zu füllen jedoch unendlich schwer ist. Wir begleiten John und Michael zu mehreren adoptionswilligen Paaren, und die Größe, der Humanismus dieses bis in die kleinsten Rollen hervorragend besetzten Films zeigt sich auch darin, dass diese Menschen – bis auf eine pointierte Ausnahme – auf ihre ganz persönliche Weise allesamt fürsorglich und liebevoll wirken, vom Akademikerpaar bis zum Briefträger. Unwillkürlich beginnt man abzuwägen und weiß im Grunde selbst nicht recht, was den Ausschlag geben könnte.

Für John ist die gesamte Situation von Zweifeln und Selbstzweifeln geprägt. Wie soll er einem Dreijährigen den Tod erklären? Auch hier setzt Pasolini nicht auf Pathos und Melodramatik, sondern auf ruhigen Realismus. John artikuliert seine Ängste mit der unter die Haut gehenden Klarheit eines Menschen, der weiß, dass er keine Zeit zu verlieren hat, und doch um jeden Moment ringt. James Norton, der bisher vor allem als Nebendarsteller in Erscheinung getreten ist, macht aus der Rolle keinen überambitionierten »Star Turn«, sondern verkörpert John mit resolutem Understatement, als bescheidenen Mann, der sich seiner Verantwortung auch ohne große Gesten bewusst ist.

Pasolini bettet dies in alltägliche Szenen zwischen Vater und Sohn, zeigt sie beim Eisessen und Einkaufen. In diesen Momenten der Freude und Liebe kommt auch das besondere Gespür bei Kamera und Schnitt zum Tragen, in der Betonung beiläufiger Details, die den Situationen eine so natürliche Intimität verleihen. Es gibt zum Glück auch keine Liebesgeschichte und keine symbolschwangeren Metaebenen. Uberto Pasolini weiß um die existenzielle Kraft seiner Erzählung. »Nowhere Special« zeigt einen Mann, der im Angesicht des eigenen Todes Schicksal für seinen kleinen Sohn spielen muss. Bis zum letzten Bild wahrt der Film die Balance zwischen Abschiedsschmerz und leiser Zukunftshoffnung. Und gerade indem Pasolini alles so scheinbar einfach hält, zeigt er, dass er es sich nicht leicht macht.

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