Kritik zu Nam June Paik: Moon Is the Oldest TV
Für Medienkunst gab es keinen Markt, als der Koreaner sich von der Musik ab- und dem TV zuwandte. Kims Dokumentarfilm zeichnet seine Laufbahn nach
Ein Merkmal der künstlerischen Moderne ist die Abwendung vom Zeigen eines Gegenstandes zugunsten der Hinwendung zum Zeigen des Zeigens. Diesen Prozess hat Nam June Paik mit seiner Konzentration auf Medien in Reinform sichtbar gemacht. In ihrem Dokumentarfilm zeichnet Amanda Kim den steinigen Weg nach, den der Koreaner zur Etablierung seiner Kunst zurücklegen musste.
Fasziniert von Arnold Schönberg, kam Paik 1956 nach München, um Komponist zu werden. Die Begegnung mit John Cage, der Kunst mit Zen-Buddhismus kombinierte, erwies sich als Schlüsselerlebnis. Alles vor 1957 war B.C. – »Before Cage«. Nachdem Paik das Klavier nicht spielte, sondern umwarf, inspirierte ihn die Fluxus-Bewegung, einen Fernseher auseinanderzunehmen. Doch seine Ausstellung in Wuppertal, bei der er 1963 erstmals zweckentfremdete TV-Apparate verwendete, stieß auf Ablehnung. »Viel Klamauk, wenig Einfälle«, hieß es in der Kunstkritik.
Nach seiner Übersiedelung in die USA bescheinigte die »New York Times« ihm sogar »Talentlosigkeit«. Aber es kam noch schlimmer. Als Charlotte Moorman 1967 in New York Paiks Stück »Opéra Sextronique« oben ohne aufführte, wurde sie wegen »Erregung öffentlichen Ärgernisses« festgenommen. Der Skandal sprach sich herum bis nach Südkorea, wo die Eltern sich für ihren Sohn schämten.
Obendrein gab es für Medienkunst gar keinen Markt. Paik war am Boden. Doch allmählich wendete sich das Blatt: Howard Klein, der ihn zuvor in der »Times« verrissen hatte, wurde zu seinem »Paten«. Mit einem Video-Synthesizer, den der japanische Ingenieur Shuya Abe 1969 für den Koreaner entwickelte, schuf Paik flimmernde elektronische Picassos, Bildwelten, die man so nie zuvor gesehen hatte. Mit seinen chromatierten Fernsehfarben beeinflusste Paik die MTV-Ästhetik maßgeblich. Die Clips zu »Ashes to Ashes« von David Bowie, »Once in a Lifetime« von den Talking Heads und »Blue Monday« von New Order sind nur die offensichtlichsten Beispiele für Paik-Anleihen.
Wie eine Gesamtschau blitzte seine Kunst in einer kleinen Skulptur von 1974 auf: Eine Buddhastatue sitzt vor einem Fernseher, der das von einer Kamera aufgenommene Live-Abbild des Meditierenden zeigt. Die kongeniale Verschränkung von Kontemplation und Fernsehen – dem Medium der Zerstreuung – avancierte zum Denkmal einer neuen, kritisch mit Medien arbeitenden Ästhetik.
Als »Vater der Videokunst« stand Paik selbst auch häufig vor Kameras. Entsprechend prall gefüllt sind die Bildarchive. Im Rückgriff auf eine differenzierte Recherche verknüpft Amanda Kim ihren Dokumentarfilm mit Zeitzeugeninterviews zu einer chronologisch gestaffelten Werkschau. Dabei prägt die Art und Weise, wie Paik elektronische Bilder konzipierte, auch die Machart des Dokumentarfilms selbst, der mit elektronischer Musikuntermalung streckenweise zu einem psychedelischen Erlebnis wird. Tagebuchtexte, gesprochen vom Schauspieler Steven Yeun, enthüllen biografische Aspekte des Koreaners, der seine marxistische Phase als ödipale Revolte gegen seinen reichen, korrupten Vater deutet. Als Freunde von ihm in Nordkorea verschwanden, kam es jedoch zu einem Umdenken. Amanda Kim gelingt ein facettenreicher und kurzweiliger Film über das Zeigen des Zeigens.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns