Kritik zu My Blueberry Nights

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Wong Kar-wai ist bei der Schauplatzsuche für seinen ersten amerikanischen Film gleich dreimal quer durch die USA gereist. Trotzdem spukt einem noch die Imbissbude aus Hongkong im Kopf herum.

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Man kann die Filme Wong Kar-wais als langen, nie endenden Bilderstrom begreifen, der stetige Wiederholung und Variation hervorbringt und sich ästhetischen Intuitionen und darstellerischen Improvisationen hingibt, statt an einem stringenten Regie­konzept oder gar einer Drehbuchvorlage zu haften. Der jeweilige Film entsteht erst am Schneidetisch, wo sich Wong mit seinem altgedienten Mitarbeiter William Chang Suk Ping zusammensetzt, der auch für Ausstattung und Kostüme zuständig ist. Damit wäre erklärt, warum für die im späteren Film nur Sekunden dauernde Kussszene zwischen Jude Law und Norah Jones drei ganze Tage gebraucht und fünfzehn verschiedene Set-ups gebaut wurden: Um nämlich für die spätere Montage die verschiedensten Perspektiven und Drehgeschwindigkeiten zur Verfügung zu haben.

Früher wusste bei den Dreharbeiten keiner der Beteiligten so recht, worum es in den Filmen Wongs eigentlich ging. Das hört sich jetzt ein bisschen anders an. Als der Dreh im September 2006 beendet war und der Meister nach Hongkong zurückreisen wollte, waren nämlich alle der Meinung, dass der Schluss fehle und – auch das keine Seltenheit – nachgedreht werden müsse. Fehlanzeige.

Natürlich hat der Film einen Schluss, einen sehr amerikanischen: Boy gets girl. Man sollte sich überhaupt auf Blaubeerkuchen mit Vanilleeis und nicht auf Dim Sum und Nudelsuppe einstellen. Desgleichen auf den blonden Charmeur mit den blitzblauen Augen (Jude Law) und nicht auf die tragisch umflorte Miene eines Tony Leung. Der Treffpunkt für die verlorenen Seelen befindet sich nicht mehr in Hongkong, sondern in New York. Die Erinnerung an die Stadt seiner Kindheit sollte, so Wong, nun endlich von etwas Neuem abgelöst werden. Doch wie gehabt überschatten Melodrama und Melancholie auch hier die Begegnung der von Liebeskummer geschüttelten jungen Frau namens Elizabeth (Norah Jones) und dem von Law gespielten Snackbar-Besitzer Jeremy, die – nach einer kurzen und zärtlichen nächtlichen Bekanntschaft – ihre Fortsetzung in einer Postkartenfreundschaft in einem Roadmovie findet.

Wong Kar-wai zeigt jedoch kein wirkliches Interesse an den großen Freiräumen des amerikanischen Westens. Von der Straße ist auf der anschließenden Reise ins Vergessen wenig zu sehen. Die Filmträume des chinesischen Regisseurs leben nach wie vor nicht von leergefegten heroischen Landschaften, sondern von schmuddeligen Cafes und stimmungsvoll ausgeleuchteten Dekors, die dieses Mal noch mit Schriftzügen auf Fenstern und Türen verrätselt werden – geheimnisvolle Botschaften, die sich zwischen Darsteller und Zuschauer drängeln. Hier genügen ein Schritt auf die Straße oder ein abfahrender Zug, um in einer Spelunke in Memphis, Tennessee zu landen, wo Elizabeth als Bardame und Serviererin zur Kronzeugin einer zerrütteten Ehe wird, oder in einem Casino in Nevada, wo sie ihre Barschaft an eine notorische Spielerin verliert. Auf jenen ironisch wissenden Blick auf den amerikanischen Alltag, für den Fotografen wie Robert Frank oder William Eggleston stehen, wartet man vergeblich – obwohl sich der Regisseur auf beide ausdrücklich bezieht. Wongs Protagonisten sind eher amerikanische Prototypen. Allerdings beherrschen wieder die Frauen das Spielfeld: glamourös und charismatisch wie noch nie Rachel Weisz als Flittchen Sue Lynne, voller Energie Natalie Portman als Pokerprinzessin Leslie. Norah Jones, die Tochter von Ravi Shankar in ihrer ersten Rolle, verblasst daneben, wird ihre Fans freilich mit ihren Songs begeistern.

Der weite Weg, den der Film zurücklegt, gibt indes genügend Gelegenheit, sich der konkurrenzlosen Schönheit der Bilder hinzugeben. Immer wieder vermischt sich der Blaubeerkuchen mit dem schmelzenden Vanilleeis, als sollten die Flüchtigkeit und Nichtigkeit des Lebens suggeriert werden. Ein unvergessliches Lebensgefühl, wie es der atemlos flippige »Chungking Express« mit seinem »California Dreamin« oder die vergebliche Liebesmüh von »In the Mood For Love« mit Nat King Coles »Quizas, Quizas, Quizas« hinterließen, lässt sich in den »Blaubeernächten« nicht unbedingt entdecken.

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