Kritik zu Mutter Mutter Kind

© JIP Film

2021
Original-Titel: 
Mutter Mutter Kind
Filmstart in Deutschland: 
20.10.2022
L: 
97 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Die Langzeitbeobachtung einer Regenbogenfamilie überzeugt mit sympathischen Protagonist*innen und Wendungen, wie sie nur das Leben selbst schreibt

Bewertung: 4
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Mit einer Zeitungsannonce fängt alles an. Das lesbische Paar Pedi und Anny sucht auf diesem Weg nach einem Samenspender. Keine Rechte, keine Pflichten, aber ihr Kind soll wissen, wer der Vater ist – das sind ihre Bedingungen. Eike meldet sich, die Chemie stimmt, und schon beim ersten, unromantischen Do-it-yourself-Versuch – mit Becher und Inseminationsschlauch zu Hause – wird Anny schwanger. Regisseurin Annette Ernst lernt beide Frauen und Spender Eike kennen, kurz bevor ihr jüngster Sohn geboren wird. Zwölf Jahre wird sie die Familie begleiten, die Kinder heranwachsen sehen und vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen die Frage verhandeln: Was ist Familie? 

Es sind die Protagnost*innen und ihre außergewöhnliche Familienwerdung, die fesseln. Da sind die drei Söhne von Anny und Pedi, denen die Regisseurin und ihre Bildgestalterin Nina Werth beim Aufwachsen und Erwachsenwerden zusehen. Hinzu kommt später Eikes Mutter Elke. Deren eigener Mann outete sich spät als schwul, woraufhin Elke sich einen Liebhaber sucht und ihren Mann durch Frankfurts Bahnhofsviertel begleitet, aus Neugier. 

Ihr Sohn Eike irritiert und fasziniert dabei besonders. Ruhig und zurückhaltend besucht er über die Jahre gelegentlich seine Kinder, hält sich aber wie mit den Müttern vereinbart zurück. Was treibt ihn um? Er spendet seinen Samen nämlich nicht nur Pedi und Anny. Insgesamt hat er acht Kinder mit fünf lesbischen Paaren gezeugt, die von den jeweils anderen zuerst nichts wissen. Linn, eine seiner Töchter, regt früh ein Treffen mit ihren Halbgeschwistern an, was zu einer patchworkartigen Ausdehnung der familiären Bande über die Jahre führt. 

Allerdings vertraut Annette Ernst nicht gänzlich auf die Kraft der Menschen, die sie porträtiert. Den sonst klassisch mit Talking Heads inszenierten Dokumentarfilm reichert sie mit Archivmaterial und Einblendungen an. Diese spiegeln die Geschichte der Homosexualität in Deutschland und weltweit, rufen markante Meilensteine in Erinnerung, etwa die Abschaffung des Paragrafen 175, der bis 1994 Homosexualität als Straftat definierte. Hinzu kommen Szenen, in denen zwei Schauspieler*innen die diffusen Ängste der sogenannten Mehrheitsgesellschaft gegenüber gleichgeschlechtlichen Eltern diskutieren. Sie grenzen sich durch das theatrale Setting in Schwarz-Weiß deutlich von dem ab, was der Film sonst vermittelt. Beide Stilmittel zeugen davon, wie lange LGBTQ* für gleiche Rechte kämpfen mussten – und dass sie es bis heute tun müssen. Diese zweite Ebene neben der chronologisch dem Leben der Personen folgenden Rahmung macht »Mutter Mutter Kind« visuell und dramaturgisch spannender. 

Die Thematisierung der homofeindlichen Außenwelt hilft außerdem, dem Eindruck eines idealtypischen Porträts einer Regenbogenfamilie vorzubeugen. Aber auch ohne diese Stilmittel wäre die Botschaft ganz klar. Die Frage, was Familie ist, beantwortet der Film unmissverständlich: Familie ist da, wo Liebe ist und Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.

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