Kritik zu The Look of Silence

© Koch Media

2014
Original-Titel: 
The Look of Silence
Filmstart in Deutschland: 
01.10.2015
L: 
103 Min
FSK: 
12

In seinem vielfach preisgekrönten, heftig diskutierten Dokumentarfilm »The Act of Killing« ließ Joshua Oppenheimer eine Bande von Massenmördern ihre Taten nachspielen. Mit »The Look of Silence« wechselt er die Perspektive: hier erzählen die Opfer des indonesischen Genozids der 60er Jahre

Bewertung: 5
Leserbewertung
4.5
4.5 (Stimmen: 2)

Es waren Dreharbeiten mit gewissen Vorkehrungen: Sie fanden 2012 direkt nach den Aufnahmen zu »The Act of Killing«, doch notwendigerweise vor dessen Veröffentlichung statt. Wenn das Team mit Protagonist Adi die Mörder aufsuchte, um sie mit ihren Taten zu konfrontieren, trug der nie seinen Pass bei sich, in der Nähe wartete stets ein Fluchtfahrzeug. Bereits im Vorfeld war klar, dass Adi und seine Familie später in eine andere Region würden ziehen müssen. Und der Abspann von »The Look of Silence« besteht zu einem großen Teil aus »Anonymous«.

So entstand dieses wahrhaft couragierte Komplementärwerk zu »The Act of Killing«, das sich aus entgegengesetzter Perspektive dem Genozid nähert, den Militär und »private« Todesschwadronen 1965/66 in Indonesien nach einem gescheiterten Putsch verübten. Bis zu einer Million Lehrer, Intellektuelle, vermeintliche Kommunisten, aber auch chinesische Arbeitsmigranten wurden abgeschlachtet. Die Täter wurden nie angeklagt, bis heute sitzen viele in wichtigen Positionen des Staates und machen zumeist keinen Hehl aus ihren Taten, ging es doch angeblich darum, das Land zu schützen. In »The Act of Killing« ließ Joshua Oppenheimer die Mörder ihre Erinnerungen in bizarren Re-Enactments in Szene setzen; »The Look of Silence« mutet dagegen konventioneller an. Passend zu seinem Titel ist er sehr leise, langsam und kontemplativ gestaltet – doch in dieser Ruhe mindestens so aufwühlend wie sein Vorgänger.

Adi, Mitte 40 und Augenoptiker, ist nach den Massakern geboren, denen sein älterer Bruder Ramli zum Opfer fiel. Immer wieder ist Adi zu sehen, wie er schweigend vor dem Fernseher sitzt und Aufnahmen betrachtet, die Oppenheimer bereits 2004 gemacht hat und die zum Ausgangspunkt für diesen Film wurden. Durch sie erfuhr Adi zufällig, wie sein Bruder gestorben war: Zwei Männer erläutern da lachend und in allen blutigen Details, wie sie Ramli umbrachten. Auch mit seiner Familie sehen wir Adi. Vor allem die Mutter warnt ihn, in der Vergangenheit zu wühlen. Sätze wie »Was vergangen ist, ist vergangen, das muss man akzeptieren«, fallen häufiger in diesem Film, gesprochen von Opfern wie Tätern. Doch Adi bricht das Schweigen, dessen erstickende Macht in vielen Szenen fast zu greifen ist.

Adi sucht einen Mörder nach dem anderen auf, überwiegend angesehene Männer, gelegentlich passt er ihnen in seiner Funktion als Optiker sogar Sehhilfen an – welche Metaphorik! Seine Fragen stellt er dabei so ruhig und höflich wie hartnäckig. So plaudern manche anfangs recht freimütig über die Massaker. Wie mutig Adi ist, wird aber spätestens klar, wenn das Gegenüber sich bedrängt fühlt und ihm unverhohlen droht. Er müsse aufpassen, sonst klinge er wie einer jener Kommunisten, die man damals beseitigen musste. Aus welchem Dorf komme er eigentlich? Aus welcher Familie?

Das Prahlen und der Hohn gegen die Opfer gehen bisweilen über in geradezu kindisch anmutende Verleugnung der eigenen Verantwortung. So wird »The Look of Silence« zum eindringlichen Psychogramm einer Gesellschaft, in der Massenmörder straflos bleiben, die aber selbstverständlich keine Gesellschaft ohne Moral ist. Das furchtbar Menschliche der Mörder wird an dieser Kluft sichtbar, an dem Lavieren angesichts des unabweisbaren Zivilisationsbruchs, sowie in der Beschwörung eines Aberglaubens, der sich wiederum monströs ausnimmt: »Wir haben immer vom Blut der Opfer getrunken, sonst wären wir wahnsinnig geworden«. So tief die Angst der Opfer vor den Tätern ist, so tief scheint bisweilen die Angst der Täter vor ihrer eigenen Schuld.

»The Act of Killing« und »The Look of Silence« sind zweifellos Meilensteine in der Auseinandersetzung mit dem Trauma eines ungesühnten Genozids. Man stelle sich Deutschland Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg vor, wenn die Nazis ihn gewonnen hätten... In Indonesien, wo die Filme eine weit brisantere Bedeutung haben, wurde vor allem »The Look of Silence« trotz Behinderungen tausendfach aufgeführt und breit diskutiert. Auch andere Anzeichen sprechen dafür, dass sich das gesellschaftliche Klima zu wandeln beginnt. So kann das Kino vielleicht nicht die Welt verändern, aber dazu beitragen, Angst, Lügen und Schweigen zu durchbrechen.

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