Kritik zu Life Is Not a Competition, But I'm Winning

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2023
Original-Titel: 
Life Is Not a Competition, But I'm Winning
Filmstart in Deutschland: 
14.12.2023
L: 
79 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Nirgendwo wird so streng nach Geschlechtern getrennt wie im Sport. Julia Fuhr Mann stellt in ihrem Film die Frage: Muss das sein?

Bewertung: 4
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Wenn die Geschichte von Siegern geschrieben wird, wo bleiben all jene, die nie teilnehmen durften? Die Frage steht am Anfang des hybriden Dokumentarfilms »Life Is not a competition, but I'm winning« über mangelnde Genderdiversität im Leistungssport, wo so strikt wie in kaum einem anderen Bereich der Gesellschaft nach zwei Geschlechtern getrennt wird. 

Die queere Regisseurin Julia Fuhr Mann, die damit ihren Abschluss an der Filmhochschule München machte, wandelt zusammen mit einem Kollektiv queerer Sportler:innen auf den Spuren jener, denen bei Olympia und anderen Wettkämpfen ein Platz auf dem Siegertreppchen verwehrt wurde. Der Film taucht ein in vergessene Momente moderner Sportgeschichte, die Olympischen Spiele 1928 etwa, als in der Leichtathletik erstmals Frauen zugelassen wurden. Eine zeitgenössische Wochenschau kommentiert, es gebe Befürchtungen, der »strapaziöse Wettkampf könne das schwache Geschlecht schädigen«. Dass beim 800-Meter-Finale eine Läuferin stürzt, wird als Bestätigung der These aufgebauscht: »Läuferinnen vor Verausgabung fast gestorben«. Das Rennen für Frauen wird daraufhin gleich wieder verboten, für die nächsten 32 Jahre. Die Siegerin Lina Radke gewinnt theoretisch als erste Deutsche olympisches Gold, die Medaille wird aber nie verliehen. Heute ist Radke fast vergessen. Sie hebt der Film nun posthum aufs Siegerpodest und erweist ihr damit ebenso die Ehre wie anderen Athletinnen, die abseits des Mainstreams Höchstleistungen gebracht haben. 

Wie die Amerikanerin Stella Walsh, die in den 1930er Jahren Weltrekorde lief und deren Geschlechtsidentität immer wieder bezweifelt wurde. Der Film begleitet parallel heutige Sportler:innen, die sich in binären Geschlechtervorstellungen nicht wiederfinden und damit auf Widerstände stoßen. Der Transfrau Amanda Reiter, die in einem Dorf im Isarwinkel lebt, wurde noch 2019 als Siegerin des Marathons bei den Bayerischen Meisterschaften eine öffentliche Ehrung verwehrt. Eine weitere Protagonistin ist die ugandische Läuferin Annet Negesa, die gezwungen war, ihre hohen Testosteronwerte zu regulieren, um bei Wettkämpfen antreten zu dürfen, mit fatalen Folgen.

Der Film feierte im September in Venedig in der Sektion »Settimana della Critica« Weltpremiere. Bei den First Steps Awards wurde Caroline Spreitzenbart mit dem Michael-Ballhaus-Preis für Kameraabsolvent:innen ausgezeichnet. Stilistisch ist das Werk so unkonventionell wie sein Gegenstand, das Hybrid aus Archiv­aufnahmen und Essayfilm, Dokumentarischem und choreografierter Performance stellt Genderkonventionen infrage, indem es mit Genreformen experimentiert. Dabei zeigt Fuhr Mann nicht nur historisches Unrecht, sondern weitet den Raum zu einer utopischen Zukunftsvision, lustvoll, kämpferisch und mit Witz. Und läuft selbst beispielhaft voran. Fast die gesamte Crew besteht aus Frauen und queeren Personen, alle Beteiligten konnten ihre Erfahrungen einbringen. Teilhabe ist alles andere als eine Utopie, wenn mensch denn will.

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