Kritik zu Life, Animated

Trailer englisch, © Verleih

2015
Original-Titel: 
Life, Animated
Filmstart in Deutschland: 
22.06.2017
V: 
L: 
91 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ein animiertes Leben ist noch lange kein echtes: Die Dokumentation über einen Autisten, der mit Hilfe von Disneyfilmen zu interagieren lernt, ist so klebrig wie die Medizin, die er predigt

Bewertung: 2
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Ohne Obsessionen ist das Leben nichts, sagte schon Trashpapst John Waters, wenn auch nicht ganz im Sinne der Botschaft dieses Dokumentarfilms über einen autistischen Jungen, der durch seine Leidenschaft für Disneyfilme und das Nachsprechen der Dialoge wieder eine Stimme findet. Denn was Regisseur Roger Ross Williams hier als Dokumentation eines echten Schicksals auftischt, kann es an Klebrigkeit und manipulierendem Zynismus durchaus mit den Filmen aus der Animationsfabrik, die der Film feiert, auf sich nehmen.

Der Junge heißt Owen und ist Sohn eines Journalisten. Bis zum dritten Lebensjahr entwickelt sich Owen normal, dann beginnt er, sich abzukapseln, die Ärzte rätseln und diagnostizieren schließlich Autismus. Ein furchtbares Schicksal, das eine Familie für immer prägt, die Eltern sind verzweifelt. Doch was Familienvater Ron Suskind, der seine Familiengeschichte später in einem Buch verarbeitet und damit einen Pulitzerpreis gewinnt, sowie Williams daraus machen, ist nicht nur für Zuschauer außerhalb der Vereinigten Staaten befremdlich. Buch und Film beschreiben, wie der Junge nach der vernichtenden Diagnose und monatelangem unverständlichem Gebrabbel plötzlich ganze Szenen aus »Arielle, die Meerjungfrau« und »Peter Pan« einwandfrei nachsprechen kann und Metaphern aus diesen Filmen mit seinem eigenen Schicksal verbindet. Auch ihre Stimmen kann er imitieren und identifiziert sich dabei eher mit den schrägen Nebencharakteren als mit den Helden im Mittelpunkt der Handlungen. Aber der Film zeigt auch, wie sich der mittlerweile Erwachsene, nachdem ihn seine Mutter in der ersten eigenen Wohnung sich selbst überlässt, mit »Bambi« tröstet. Nun ja.

Es ist eine fast schon klischeehaft US-amerikanische Erziehungsmethode, die in »Life, Animated« propagiert wird. Die Filme mit ihren ausgestellten, überladenen Emotionen haben womöglich dem autistischen Jungen geholfen, seine eigenen Gefühle auszudrücken. Er wird tatsächlich dazu animiert, sein Leben zu leben. Das suggeriert der Film auch immer wieder in der Montage, wenn er etwa Szenen mit den jugendlichen Helden aus »Peter Pan« oder »Pinocchio« mit dem Alltag Owens parallelsetzt.

Vor allem aber zeigt er ihn als erwachsenen Mann und seine ersten Schritte in ein unabhängiges Leben. Das erste Apartment, die erste Freundin, eine Konferenz in Frankreich, auf der er von seinem Lebensweg berichtet. Und immer verbunden mit seiner Liebe für die Animationsfilme, die er Hunderte Mal gesehen hat. Dazwischen wieder und wieder Statements seiner Eltern, die wenig erhellend sind und aufgesetzt wirken und dabei das ungute Gefühl vermitteln, dass hier eine sehr persönliche Geschichte ausgeschlachtet wird, ohne dass der Pro­tagonist im vollen Umfang begreift, in was seine Eltern ihn verwickeln. Disney hat, in einer seltenen Ausnahme, der Verwendung von Originalmaterial zugestimmt, in der berechtigten Annahme, mit dieser emotionsgeladenen Geschichte den eigenen Mythos zu festigen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Mir hat der Film recht gut gefallen. Fand ihn sehr berührend und authentisch. Was mich aber interessieren würde, und ich weiß nicht, ob das hier jemand beantworten kann: was für eine Schuldbildung hat Owen eigentlich? Das kommt im Film nicht so klar raus. Einmal ist von einer Schule für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, also wohl eine Art Sonderschule, die Rede, in der er dann auch gemobbt wird. Dann sieht man ihn aber bei einer Abschlussfeier eines Colleges, zumindest sieht das so aus. Das wäre doch wohl mindestens "mittlere Reife" oder Matura, wenn man es mit unserem Schulsystem vergleicht. Das widerspricht aber dann doch wieder dem beruflichen Werdegang Owens. Man sieht etwa, wie er sich bei einem Kino als Hilfskraft bewirbt. Der mit ihm ein Gespräch führende Manager des Kinos fragt ihn dann auch noch, ob er auch kassieren könne. was Owen verneint. Und wenig später sieht man ihn dann Karten abreißen. also doch eher ein Job, den wohl keiner mit einem College-Abschluss oder einer Matura machen würde. Wie passt das zusammen? Kann mich darüber jemand aufklären?

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