Kritik zu Jenseits der Hügel

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Cristian Mungiu gewann 2007 mit 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage als erster rumänischer Regisseur die Goldene Palme. Für seinen neuen Film erhielt er in Cannes den Preis fürs beste Drehbuch

Bewertung: 4
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3 (Stimmen: 1)
Die Freundinnen Voichita (Cosmina Stratan) und Alina (Cristina Flutur) treffen sich nach langer Zeit am Bahnhof einer rumänischen Kleinstadt wieder. Als Heimkinder waren sie einst ein verschworenes Duo, ein Liebespaar, bis Alina zum Arbeiten nach Deutschland aufbrach, während Voichita als Nonne in eine einsam gelegene orthodoxe Klostergemeinschaft eintrat. Jetzt ist die Emigrantin in angeschlagener Verfassung zurück, um ein Arbeitszeugnis und erspartes Geld abzuholen und mit der Freundin zusammen einen neuen Job anzutreten, irgendwo im Wes­ten auf einem Kreuzfahrtschiff.
 
Doch den alten Bund zu erneuern, wird nicht gelingen. Jenseits der Hügel entfaltet ein Außenseiterdrama, das in eine bestürzend realistische Exorzismustragödie mündet. Die Mittzwanzigerinnen, die einander im geschlossenen Machtsystem ihrer Kindheit schützten und liebten, sind in gegensätzliche Lebensweisen und Anschauungen auseinandergedriftet – Unruhezustände, die man auch als kraftvolle Metaphern für die Zerreißproben der rumänischen Gesellschaft sehen kann. 
 
Voichita, eine introvertierte Erscheinung im langen schwarzen Wintergewand der Novizin, scheint vom archaischen Glauben an Demut und Pflichterfüllung, Buße und Erlösung absorbiert. Alina, die schon früh mit Karate auf die Zumutungen des Heims reagierte, schwankt im Werben um die Freundin zwischen Anpassung an das Klosterleben und zunehmend explosiven Ausbrüchen. 
 
Das Drehbuch fußt auf einem authentischen Fall, der sich sieben Jahre zuvor in Rumänien zugetragen hat. Ausgehend von zwei Tatsachenromanen der Journalistin Tatiana Niculescu Bran über die Hintergründe der tödlich endenden Teufelsaustreibung und den nachfolgenden Prozess schildert Jenseits der Hügel die Geschichte der allmählichen Eskalation in einem eindringlichen quasidokumentarischen Gestus. 
 
Aus dem ruhigen Fluss des Klosterlebens, dem klaren offenen Parlando zwischen ­Priester (Valeriu Andriuta), Oberin (Dana ­Tapalaga) und den sieben Nonnen setzt sich ein Rätselbild zusammen, das eindeutige Schuldzuweisungen unmöglich macht und lange nachklingt. Die Kamera (Oleg Mutu) breitet den Schauplatz, eine Ansammlung halbfertiger Baracken um ein Kirchlein und eine pavillonartige Kapelle auf kahlen Hügeln im frostigen Winterlicht aus. Musik gibt es in diesem kargen Leben nicht, nur einmal Voichitas "Schlaf, Kindchen, schlaf" für die fiebrige Freundin.
 
Mungiu nimmt sich Zeit, die geistliche WG unter Leitung der freundlichen Matriarchin und des prinzipientreuen, aber zugänglichen Priesters zu choreographieren. Der Winter will nicht weichen, das Holz wird knapp, Ostern naht und damit die Chance, Gläubige anzuziehen. Voichita geht in der Atmosphäre dieser rückschrittlichen Ersatzfamilie auf, sie arbeitet in der Selbstversorgung, der Armenküche und beim Bau mit. Noch fehlt es an Schmuck, so dass die Kirche zum Leidwesen des Priesters bislang nicht gesegnet wurde. Diese kleine Welt, wieder eine geschlossene, befeuert sich ständig mit Gebeten und Glaubensbekenntnissen. Provokante Zweifel gelten als Blasphemie, Ressentiments über "den Westen", Drogen, Homosexuelle usw. stempeln Alina mit ihren Erfahrungen zum bedrohlichen Fremdkörper.
 
Voichita, aus deren Perspektive der Film konsequent erzählt ist, gerät in das Dilemma, die Freundin schützen und ihre Rebellion zugleich abfangen zu müssen. Alina braucht Hilfe, sie fiebert und kollabiert, der neue Job ist dahin. Ähnlich wie in Requiem, Hans-­Christian Schmids Porträt einer psychisch kranken Grenzgängerin, schildert Jenseits der Hügel eine komplexe Katastrophe. Alinas Labilität mag aus frühen Verletzungen herrühren, die aber werden abgründig aktualisiert, wenn sie zum Beispiel erfährt, dass man sie um ihre Ersparnisse betrog. 
 
Die Nonnen und der Gottesmann, selbst Voichita wollen die Rebellin am Ende nur noch ruhigstellen, wie es der Psychiater tat. Gefesselt und geknebelt wird sie tagelang der Litanei von Gebeten zum Hl. Blasius ausgesetzt, bis nichts mehr hilft. Niemand ist sich einer Schuld bewusst, nur Voichitas bleiches Gesicht leuchtet voller Verzweiflung.

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