Kritik zu Ich und Earl und das Mädchen

© 20th Century Fox

2015
Original-Titel: 
Me and Earl and the Dying Girl
Filmstart in Deutschland: 
19.11.2015
L: 
105 Min
FSK: 
6

Die Kombination aus Krebs, Coming-of-Age und Cinephilie lässt erstaunlich viele Zwischentöne zu

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Es klingt nach Ironie der kaltschnäuzigsten Art: »Die letzte Person, die diesen Film gesehen hat, fiel ins Koma und starb kurz darauf«, das schreibt Highschooler Greg (Thomas Mann) auf einen seiner selbst gemachten Filme. Seit Jahren schon, so berichtet er dem Zuschauer vom sicheren Ort der Offerzählung aus, dreht er mit seinem Kumpel Earl (RJ Cyler) kleine Parodien, besser gesagt Hommagen auf große Filme. In seinem Regal stehen Werke namens Sockwork Orange, Senior Citizen Cane, Breathe Less, The 400 Bros und, für die besonders cinephilen unter uns, MonoRash. Zu manchen der Titel gibt es ein Filmplakat – auf dem zu Sockwork Orange trägt eine Socke den typischen »Bowler hat« –, zu anderen sehen wir kurze Einstellungen. Greg betont, dass es ihnen nicht darum gehe, sich lustig zu machen. Charakteristischerweise kann Greg nahezu perfekt Werner Herzog imitieren – in seinem ganzen betont humorlosen Ernst.

In gefühlt Hunderten von Coming-of-Age- und Highschool-Filmen hat man einen wie ihn schon gesehen: den schüchternen Sonderling, der den Überschwang seiner pubertären Gefühle hinter der Fassade doppelt verglaster Coolness verbirgt. Trotz seines originellen Hangs für die Sparte »foreign film« würde man für ihn kaum Interesse aufbringen, wäre da nicht die Geschichte mit dem »Mädchen«, das der englische Titel als »sterbend« ausgibt. Sie wird Greg samt seiner Coolness aus der Bahn werfen. Aber nicht in der Weise, wie wir es aus all den anderen Filmen kennen.

Dabei fängt es noch als Standardsituation an: Greg wird von seiner Mutter gebeten, nein: gezwungen, seiner Mitschülerin Rachel (Olivia Cooke) einen Besuch abzustatten. Denn Rachel hat eine böse Diagnose bekommen: Leukämie. Natürlich hasst Greg seine Aufgabe, schließlich kennt er Rachel gar nicht näher, und das mütterliche Konzept, Hilfe und Mitgefühl anzubieten, ist ihm nicht nur fremd, er fühlt sich dazu überhaupt nicht in der Lage. Also verhält er sich wie ein Vierjähriger und bittet die von seinem Besuch überraschte Rachel, einfach so zu tun, als würden sie Zeit miteinander verbringen. Damit nur ja die Mutter zufrieden sei. Die kindliche Strategie erweist sich als gar nicht mal so blöd. Denn das »So tun als ob« ermöglicht wiederum Rachel den Freiraum, ganz kaltschnäuzig zu bleiben.

Was »Ich und Earl und das Mädchen« aus den ausgetretenen Spuren des Krebsfilm- und Highschool-Genres herausragen lässt, ist weniger die Originalität seiner Figuren als vielmehr die Bandbreite der emotionalen Töne, die er sich anzuschlagen getraut. Nein, Ironie ist hier nicht immer die Lösung raus aus dem Gefühlsschlamassel. Neben der gefälligen Smartness der geschliffenen Dialoge gibt es auch echte Wortlosigkeit, neben dem willfährig schrägen Humor werden förmlich Gräben aufgerissen, in denen das Lachen einfach versinkt. Für diesen Mut zum Ernst muss man diesen humorvollen Film einfach lieben.

...zum Interview mit Regisseur Alfonso Gomez-Rejon

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