Kritik zu Falling

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Vom Leben mit einem dementen Familienpatriarchen: In seinem Regiedebüt lässt Schauspieler Viggo Mortensen persönliche Erfahrungen durch eine fiktive Erzählung schimmern

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Je älter die Menschen werden, desto häufiger sind sie mit Demenz und Alzheimer konfrontiert. Ein Umstand, der sich seit einigen Jahren verstärkt in der Literatur und im Kino niederschlägt, unter anderem in Filmen wie »Iris«, »Still Alice«, der koreanischen Literaturverfilmung »Memoir of a Murderer« oder zuletzt in »The Roads Not Taken« von Sally Potter. Auch Viggo Mortensen setzt sich in seinem Regiedebüt mit der Pflege und dem Tod seiner Eltern auseinander und lässt dabei durch eine weitgehend fiktive Erzählung persönliche Erfahrungen durchschimmern. Indem er den Film im ­Abspann seinen beiden Brüdern Charles und Walter widmet, macht er ihn auch zu einer Hommage an die gemeinsamen Erfahrungen.

Am Anfang von »Falling« begleitet John (Viggo Mortensen) seinen Vater Willis (Lance Henriksen) im Redeye-Flieger. Denn wie sich bald herausstellt: Allein fliegen lassen kann man den Mann, der unvermittelt in wüste rassistische, frauenfeindliche oder homophobe Tiraden ausbricht und ungehalten nach seiner schon vor vielen Jahren verstorbenen Frau ruft, nicht mehr. Ähnlich wie Sally Potter in »The Roads Not Taken« nutzt auch Mortensen die Krankheit, um immer wieder durch Erinnerungs-Schlupflöcher in die Vergangenheit zu driften. Einerseits erzählt er damit vom schwankenden Boden der Wahrnehmung, auf dem sein dementer Vater taumelt, andererseits setzt sich aus den Rückblenden sukzessive auch das Bild einer dysfunktionalen Familie zusammen.

»Wir sind zu Hause«, sagt Willis irgendwann in den fünfziger Jahren. In dieser Phase wird er von dem schwedisch-isländischen Schauspieler Sverrir Guðnason gespielt, der in »Borg/McEnroe – Duell zweier Gladiatoren« den Tennischamp Björn Borg verkörperte und in Fede Alvarez' Remake von Stieg Larssons »Verschwörung« den Journalisten Mikael Blomkvist. Da wirkt Willis noch wie ein liebevoller Vater, der seine Frau und ihr neugeborenes Baby mit rücksichtsvoll zärtlicher Geste aus dem Krankenhaus nach Hause geleitet. Doch diese Happy-Home-Idylle bekommt bald Risse, immer mehr Misstöne schleichen sich ein, ein autoritärer, abfälliger und bösartiger Tonfall, der im Alter durch die Krankheit noch verstärkt wird.

Kunstvoll verwebt Mortensen die verschiedenen Zeitebenen und Sichtweisen, doppeldeutig oszillierend zwischen Johns eigener Rekapitulation von Kindheit und Jugendjahren und Willis' bröselnder Erinnerung. »Falling« kreist um das schwierige Verhältnis von Eltern und Kindern, Vätern und Söhnen, um Alter, Erinnerung und Vergebung und generell um die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz. Dabei bewegt sich Viggo Mortensen auf einem schmalen Grat zwischen seiner eigenen real erlebten Familiengeschichte und einer fiktionalisierten Version davon, in der sich universelle Beobachtungen über den Umgang mit alten Eltern verfangen. 

Lance Henriksen treibt seinen Willis mit rückhaltloser Abscheulichkeit auf den Moment zu, in dem auch der letzte Rest von familiärer Liebe in Verachtung oder zumindest Gleichgültigkeit umschlägt. Es ist eine teuflische Mischung aus armseliger Bedürftigkeit und ruppiger Aggressivität, auf die die verschiedenen Familienmitglieder ganz unterschiedlich reagieren. Während seine Schwester (Laura Linney) noch immer um einen unwiederbringlich zerrütteten Familienfrieden ringt, die Enkel sich fassungslos abwenden und Johns koreanischer Ehemann gute Miene zu bösem Spiel macht, reagiert John mit wahrer Engelsgeduld auf das erratische Verhalten und die ständigen Provokationen seines Vaters. Konsequent vermeidet er, sich in einen fiesen Zwist hineinziehen zu lassen. 

Indem Viggo Mortensen, der auch den feinen Soundtrack des Films komponiert hat, sich selbst zum schwulen Ehemann eines asiatischen Krankenpflegers mit ­adoptiertem Kind umschreibt, bricht er ganz nebenbei noch eine Lanze für Diversität und alle Formen von Beziehungen jenseits der katholischen Norm.

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