Kritik zu Elektrokohle (Von Wegen)

© Neue Visionen Filmverleih

2009
Original-Titel: 
Elektrokohle (Von Wegen)
Filmstart in Deutschland: 
25.06.2009
L: 
91 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ein kleines Ereignis wird zum historischen Moment: Dokumentarfilmer Uli Schueppel erinnert an das Konzert der Einstürzenden Neubauten im Ostberliner VEB Elektrokohle als einen der vielen gesellschaftlichen Wendepunkte

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Man kann sich vorstellen, wie solch ein Film entsteht. Da hat ein begabter Dokumentarfilmer noch ein paar Rollen Film in seinem Archiv, die den ersten Auftritt der Einstürzenden Neubauten in Ostberlin im Dezember 1989 zeigen. Von der Anfahrt entlang der Mauer, von der nun kleine Souvenirbrocken abgeklopft werden, über den noch bestehenden Checkpoint Charlie und dann quer durch den unbekannten Osten bis zu dem Gesellschaftshaus des VEB Elektrokohle, in dem Damen mittleren Alters im dunkelblauen Kostüm den Einlass machen, ist alles in Wort und Bild festgehalten.

Natürlich geht es dabei auch um die Musik, um Heiner Müller, der spontan die Bühne betritt und das Ereignis an drei Geburtstage bindet: an den von Stalin, dessen Neubauten, so verspricht er, nun einstürzen werden, an den von Thomas Münzer, mit dem es manchem in der DDR besser gegangen wäre, und schließlich an den von Mufti, den Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten – das Ganze endet im überschwänglichen Jubel. Das, und einige spannende Minuten des Konzerts, ist die eine Seite des Films. Schöne, starke Bilder, in der Flüchtigkeit des Events schnell geschossen und nicht inszeniert, kaum genug für einen Fernsehbeitrag und doch viel zu schade, um in einem Archivschrank zu landen.

Die andere, zugegeben viel schwächere Seite des Films zeigt einige Besucher des Konzerts, wie sie sich heute an die Wende erinnern, an die Umbrüche damals, und sucht mit ihnen Orte auf, wo sich dieser historische Wechsel jenseits des Zentralkomitees vollzogen hat. Dass diese Besucher zum großen Teil Kulturträger sind, heute als Film- und Musikjournalisten arbeiten oder damals etwa die persönliche Mitarbeiterin von Heiner Müller waren, das erfährt man nicht oder nur in Andeutungen. Der Verzicht auf den Off-Kommentar schafft eine gewisse Unmittelbarkeit, die vor allem bei den alten Bildern aus dem Jahr 1989 für eine starke Präsenz und eine Art wahrhaftes Empfinden sorgt.

Doch wenn der Film in die Gegenwart wechselt, den heute zugemauerten Wilhelm- Pieck-Saal zeigt, in dem das Konzert damals stattfand, eine Lagerhalle oder das fast unveränderte Treppenhaus, dann reicht der Interviewton zwar aus, um die Verbindung von Pop-Avantgarde und politischer Vergangenheit herzustellen, doch bleiben zu viele Fragen, die die Einzelnen selbst betreffen, offen. Die Figuren bleiben beliebig. Ihre Erinnerungen an den regen Tonbandaustausch damals, als die Platten der Einstürzenden Neubauten nur unter großem, meist illegalem Aufwand zu beziehen waren, ihre Betrachtungen heute, der Blick auf die alten Behausungen, die sich in 20 Jahren zum Glück doch ein wenig verändert haben, all das hat man in den vielen mehr oder minder nostalgischen DDR-Dokumentationen schon gesehen und gehört. Wären da nicht die einzigartigen Aufnahmen des jungen Blixa Bargeld, der sich jeder offiziellen Form von Widerstand verweigert und stolz ins Mikrofon haucht: »Ich bin das letzte Biest am Himmel.«

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