Kritik zu Ein schöner Ort

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Zwei junge Frauen treiben durch ein aus der Zeit gefallenes Dorf in der Eifel und warten mit den Dorfbewohnern auf einen Raketenstart – Katharina Hubers stille Dystopie verweigert sich herkömmlichen Auflösungen

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»Ein schöner Ort« ist ein seltener Glücksfall: Das Langfilmdebüt von Katharina Huber weigert sich, verstanden zu werden, und entfaltet gerade dadurch einen eigentümlichen Sog. Irgendwo in der Eifel, in einem Dorf, das aussieht, als sei es aus der Zeit gefallen, scheint die Welt in langsamer Auflösung begriffen. Menschen verschwinden, niemand weiß, wohin. Eine Rakete soll bald starten. Und zwei junge Frauen, Güte (Clara Schwinning) und Margarita (Céline de Gennaro), treiben durch diese Zwischenwelt, als wären sie letzte Überlebende.

Mit geringen Mitteln inszeniert Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Huber eine Dystopie ohne Spezialeffekte, eine ganz eigene und höchst eigenwillige Welt, die durch die anspielungsreiche Bildgestaltung von Jesse Mazuch und Carmen Rivadeneira, außergewöhnliches Sounddesign und die Choralmusik von Federico Perotti einen suggestiven Sog entwickelt. Jede Einstellung ist sorgfältig ausbalanciert, jeder Dialog auf ein Minimum zurückgestutzt. Die Stille wird zur Sprache des Films, wie das ferne Grollen einer kommenden Katastrophe. Die 1985 geborene Huber erhielt beim Filmfest in Locarno dafür den Nachwuchsregiepreis.

Formal erinnert »Ein schöner Ort« an die frühen Tableaus Ulrich Seidls oder an Angela Schanelecs kristalline Abstraktionen, ohne je epigonal zu wirken. Huber hat eine eigene Tonlage gefunden, kühl und poetisch zugleich, mit einem Humor, der so trocken ist, dass er leicht übersehen wird. Wenn Dorfbewohner in altmodisch gestärkten Hemden über den Raketenstart sprechen, als handle es sich um den Wetterbericht, blitzt darin eine fast kafkaeske Ironie auf, wird das Absurde Normalität. Die Welt des Films teilt sich in zwei Geschwindigkeiten: die des Außen, das sich in Radiostimmen und fernen Maschinen ankündigt, und die des Dorfes, in dem alles stillzustehen scheint. In dieser Reibung entsteht Spannung, die nie aufgelöst wird. Statt Handlung gibt es Bewegungen: Güte streift durch Felder, beobachtet, zögert. Ihr Gesicht bleibt undurchdringlich, ein Spiegel für die bleierne Stimmung des Ortes. Schwinning, die in Locarno für ihre Schauspielleistung ausgezeichnet wurde, verkörpert die Apathie, aber auch das fragile Aufbegehren einer Figur, die ahnt, dass Weggehen auch keine Option ist. In seiner formalen Strenge könnte »Ein schöner Ort« leicht hermetisch wirken, doch Huber vermeidet selbstgefällige Rätselhaftigkeit. Die Kapitelstruktur, ein Countdown, erzeugt einen Rhythmus, der trotz aller Langsamkeit unaufhaltsam wirkt. Je näher der Moment des Aufbruchs rückt, desto deutlicher wird, dass es um die Frage geht, wie man bleiben kann in einer Welt ohne Zukunft.

Am Ende reflektiert »Ein schöner Ort« deutsche Gegenwart, ohne es je zu sagen. Ein kollektives Gefühl von Stillstand, das sich in kühlen Bildern und rostigen Oberflächen spiegelt. Präzise, aber nie zynisch ist Hubers Blick auf das gar nicht so unwahrscheinlich wirkende Ende der Welt, wenn es leise geschieht. Faszinierendes Kino als kryptische Parabel, die im besten Sinne herausfordert. Nur auf eine psychologische Auflösung sollte man nicht hoffen.

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